Kommentar zur aktuellen Novelle des Unterbringungsgesetzes (UbG) (BGBl I Nr. 147/2022),

gültig ab 01.07.2023

Zur aktuellen Novellierung des Unterbringungsgesetzes nimmt die Sektion Notfallmedizin der ÖGARI in Kooperation mit der Österr.Gesellschaft für Ethik und Recht in der Notfallmedizin wie folgt Stellung:

Psychiatrische Notfälle / psychosoziale Krisen machen etwa 10–20 % aller Rettungseinsätze aus.[1]

Diese Einsätze sind i.d.R. zeitaufwändiger und binden Rettungsmittel länger als sonstige Notfällen. Dies ist vor allem darin begründet, da

  • der innere Widerstand des/der Patienten/Patientin gegen die Hospitalisierung zu überwinden ist,
  • auf die Polizei oder einen §-8-Arzt(Ärztin zu warten ist oder
  • eine geeignete Zielklinik aufgrund der örtlichen Zuständigkeitsregelungen ausgewählt werden muss.

Wenn ein:e Patient:in freiwillig, d.h. ohne Anwendung von Nachdruck bzw. Freiheitsbeschränkung zur Aufnahme auf eine Psychiatrie transportiert werden möchte, so handelt es sich um einen Krankentransport bzw. Rettungseinsatz. Die ausdrückliche Zustimmung zum Transport ist einzuholen und zu dokumentieren. Das UbG kommt hier nicht zur Anwendung – die Polizei ist nicht erforderlich.

Wenn ein:e Patient:in einen Behandlungsbedarf an einer Psychiatrie hat (existentielle Krise, Abwehr einer Selbst- oder Fremdgefährdung), jedoch keine Zustimmung zur Einweisung bzw. zum Transport erteilt (= fehlende Zustimmung oder auch Gegenwehr), kommt das UbG zur Anwendung.

Intention der aktuellen Novelle dieses Gesetzes ist es, die Zusammenarbeit der beteiligten Akteur:innen (insbesondere der Exekutive und des Rettungsdienstes, aber auch der psychiatrischen Abteilungen) eindeutig und klar zu regeln. Dabei sollen die Wahrung Patient:innenwillens und somit seine/ihre Selbstbestimmung besondere Berücksichtigung erfahren. Eine zwangsweise Unterbringung stellt einen massiven Grundrechtseingriff dar, daher sind die entsprechenden Vorgaben zwingend zu beachten.

Für Notärzt:innen sind folgende novellierte Punkte wesentlich:

§ 8 Abs. 1 UbG:

Neben den schon bisher genannten Amts- und Polizeiärzt:innen kann künftig auch ein „vom Landeshauptmann ermächtigter Arzt“ die erforderliche Bescheinigung (amtsärztliches Parere, zwangsweise Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik) ausstellen. Die dafür vorgesehene Verordnung des Gesundheitsministers, mit der die fachlichen und persönlichen Voraussetzungen geregelt werden, wurde bisher allerdings noch nicht kundgemacht. Sie wird für Spätsommer / Herbst 2023 erwartet.

Anmerkung:

In einer Psychiatrie darf nur untergebracht werden, wer

1) an einer psychischen Krankheit leidet und im Zusammenhang damit sein Leben oder seine Gesundheit oder das Leben oder die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet und

2) nicht in anderer Weise, insbesondere außerhalb einer psychiatrischen Abteilung, ausreichend ärztlich behandelt oder betreut werden kann.

Dies kann auch gegen den Willen der Patienten erfolgen.

§ 9 Abs. 3 Z. 3 UbG:

Die Polizei kann die betroffene Person (gilt auch für Minderjährige!) auch ohne Untersuchung und Bescheinigung eines/r §-8-Ärzt:in (Amts-/Polizeiärzt:in) in die Psychiatrie bringen, wenn die Polizei z.B. von einem/r Notärzt:in beigezogen wird, der/die nachvollziehbar im Rahmen der Behandlung der betroffenen Person die Unterbringungsvoraussetzungen für gegeben erachtet.

Der/die Notärzt:in ist somit bereits am Einsatzort und zieht die Polizei bei.

Anmerkung:

Nur die Organe der öffentlichen Sicherheit – i.e. die Polizei –  sind ermächtigt, eine Vorführung mit unmittelbarer Zwangsgewalt durchzusetzen. Sanitäter bzw. Notärzte dürfen dies nicht.

Nicht vorgesehen ist es, dass die Polizei eine/n Notärzt:in zur Einschätzung der Unterbringungskriterien beizieht. Die Rolle der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes (=Polizei) in der Zusammenarbeit mit dem Rettungsdienst bleibt unverändert. Die Entscheidung über die Unterbringung und die Verantwortung dafür bleibt bei der Polizei.

§ 9 Abs. 4 UbG:

Die anzufahrende Psychiatrie ist vom Rettungsdienst vorab zu verständigen. Der Transport selbst hat – wie auch bisher bereits vorgeschrieben – unter Begleitung der Exekutive (mit Anwesenheit im Patient:innenabteil des Rettungsfahrzeuges!) zu erfolgen. Der Rettungsdienst hat also eine gesetzliche Verständigungspflicht, die einzuhalten ist!

UbG gilt nur bei Fahrt zur Psychiatrie

Das UbG ist nur anzuwenden, wenn der/die Patient:in unmittelbar in eine Psychiatrie gebracht wird. Ist vordergründig eine andere Spitalsabteilung anzufahren (z.B. Notaufnahme einer öffentlichen Krankenanstalt), so kommt das UbG nicht zur Anwendung.

Anmerkung:

Weitere Erläuterungen finden sich auch in den Praxistipps der ÖGERN sowie eine Online Fortbildung der MA 70 (Link).

Online Fortbildung der MA 70 zum Thema (Link).


[1] Hansak/Bärnthaler/Pessenbacher/Petutschnigg, LPN Notfall-San Österreich, 3. Auflage (2018), Band 2, S. 521.