Anlässlich der Eröffnung der ÖGARI-Jahrestagung AIC 2019 in Graz referierten Experten über Herausforderungen der perioperativen Intensivmedizin sowie die Zukunft der Anästhesiologie.

Österreich verfügt in öffentlichen Krankenhäusern aktuell über etwa 44.000 Betten im akutstationären Bereich, wovon 2.450 Intensivbetten sind. Österreich liegt mit diesen Zahlen gemeinsam mit Deutschland europaweit im Spitzenfeld. In den letzten Jahren beliefen sich die aufgewendeten Kosten für den akutstationären Bereich im Schnitt auf rund 12 Milliarden Euro. 13 Prozent der Gesamtkosten pro Jahr, das sind etwa 1,5 Milliarden Euro, werden für die Intensivmedizin aufgewendet. „Das bedeutet im Umkehrschluss, dass Spitäler mit vielen Intensiv-Einheiten einen respektablen Teil ihres Gesamtbudgets aus intensivmedizinischen Punkten erwirtschaften“, sagte Univ.-Prof. DDr. Philipp Metnitz, Leiter der Klinischen Abteilung für Allgemeine Anästhesiologie, Notfall- und Intensivmedizin, Medizinische Universität Graz, in der Plenarsitzung beim AIC 2019 über die Zukunft der Anästhesiologie.

Die Bevölkerungsentwicklung der letzten Jahrzehnte macht auch vor der Zusammensetzung der Patientenpopulation auf intensivmedizinischen Abteilungen nicht Halt. Während im Jahr 1989 750.000 Menschen im Alter über 70 Jahren in Österreich lebten und der Altersmedian an Intensivstationen bei 55 Jahren lag, sind heute 1,25 Millionen Österreicher über 70 Jahre alt und das mediane Alter an intensivmedizinischen Abteilungen beträgt 70 Jahre. Diese Entwicklung wird auch über die kommenden Jahrzehnte weiter anhalten. „Ich möchte jedoch festhalten, dass Alter  an der Intensivstation nicht mit schlechter Prognose gleichzusetzen ist“, betonte Prof. Metnitz. So liegt die Spitalsmortalität von über 80-Jährigen bei rund 30 Prozent, was im Umkehrschluss bedeutet, dass 70 Prozent der 80plus-Patientinnen und -Patienten das Spital lebend verlassen. Die skizzierte demographische Entwicklung führt zu einer Erhöhung des Bedarfs an medizinischen Ressourcen. Je nach Versorgungsregion stehen derzeit zwischen einem und fünf intensivmedizinischen Betten je 10.000 Einwohner mit sehr hoher Belagsdichte zur Verfügung.

Eine primäre Maßnahme zur Beeinflussung des Bedarfs an medizinischen und intensivmedizinischen Leistungen ist die Prävention; langfristig durch Lebensstilmaßnahmen zur Verhinderung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder respiratorischen Erkrankungen. Mittelfristige Effekte erwartet Prof. Metnitz von präventiven Maßnahmen im Spitalsbetrieb, um Situationen, die einen Intensivaufenthalt notwendig machen, begegnen zu können.

Neben präventiven Maßnahmen sind auch Verbesserungen von Effektivität und Effizienz der Therapie Parameter, die den Bedarf beeinflussen. „Intensivmedizin ist eine wichtige Ressource. Sie ist effektiv und wird in Österreich jedes Jahr besser“, berichtete Prof. Metnitz. So ist die Chance zu überleben für Patientinnen und Patienten an österreichischen Intensivstationen in den letzten 20 Jahren um etwa 30 Prozent gestiegen. Bezüglich der Effizienz besteht zwischen den österreichischen Intensivstationen allerdings durchaus Variabilität.

Wenn der Bedarf an Intensivmedizin in den kommenden Jahren wie prognostiziert ansteigt, die Ressource jedoch nicht in gleichem Maße erhöht werden, muss die Nutzung bestehender Einrichtungen optimiert werden. Es gilt einerseits, Patientinnen und Patienten zu erkennen, die von einem Intensivaufenthalt profitieren, aber andererseits auch jene, die daraus keinen Nutzen ziehen können. Zuletzt machte Prof. Metnitz darauf aufmerksam, dass eine Steigerung der Patientenzahlen auch mehr Ärztinnen und Ärzte notwendig macht.

Zukunft gestalten in der Anästhesiologie

In seinem Referat berichtete Univ.-Prof. Dr. Rolf Rossaint, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) über Strategien der DGAI, wie die Anästhesiologie in Zukunft entwickelt werden soll. Im Rahmen von Strategiemeetings wurden zehn Kernaussagen ausgearbeitet, die eine Zielorientierung für die Weiterentwicklung des Fachs mit seinen Teilbereichen Anästhesiologie und Intensivmedizin sowie Notfall-, Schmerz- und Palliativmedizin enthalten. Sie bilden die Grundlage für künftige konkrete Maßnahmen und Empfehlungen der DGAI. „Wie wollen uns klar als Fach definieren, das sich um die perioperative Medizin kümmert und einen wichtigen Garant für die hohe Patientensicherheit darstellt“, sagte Prof. Rossaint.

Die erste Kernaussage betrifft die Einheit des Faches Anästhesiologie, in dem alle Teilbereiche und alle darin tätigen Berufsgruppen ihre Heimat finden und nicht in unterschiedliche Fächer aufgegliedert werden sollen. Eine weitere Kernaussage betrifft die sichere, empathische und prozessorientierte Patientenversorgung. So werden in Deutschland aktuell Qualitätskriterien für die Anästhesie entwickelt, die in einem Zertifizierungsprozess implementiert werden sollen. Bereits heute kommen SOPs (Standard Operating Procedures), Systeme zur Medikamentenüberprüfung und Checklisten zum Einsatz, die zur Erhöhung der Sicherheit beitragen. Darüber hinaus erlaubt das CIRS-AINS-Programm, Fehlerquellen zu identifizieren, Lösungen zu erarbeiten und Fehler in Zukunft zu vermeiden. „Ich bin mir sicher, dass wir mehr Checklisten, mehr automatische Kontrollen, mehr Zertifizierung der Kliniken, Unterstützung der Diagnose durch künstliche Intelligenz und vieles mehr brauchen“, sagte Prof. Rossaint.

Ein wesentliches Anliegen der DGAI ist die Förderung von Forschung, Aus-, Fort- und Weiterbildung sowie die Entwicklung wissenschaftlich begründeter Handlungsempfehlungen und Leitlinien. Prof. Rossaint machte in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass für die Veranstaltung von Kongressen und Fortbildungsveranstalten sowie die Entwicklung und Aktualisierung der Leitlinien auch große finanzielle Mittel erforderlich sind.

Darüber hinaus steht die DGAI für eine vertrauensvolle, interdisziplinäre und interprofessionelle Zusammenarbeit auf der Basis von gegenseitigem Respekt Wertschätzung.

„Wir müssen die Rahmenbedingungen für kompetitive, hochwertige Grundlagenwissenschaft, klinische und translationale Forschung verbessern“, forderte Prof. Rossaint und sprach damit ein zentrales Thema seiner DGAI-Präsidentschaft an. Bleibt diese Forschung aus, so befürchtet Prof. Rossaint, wird die Anästhesiologie als akademisch-wissenschaftliches Fach in Frage gestellt. Um dem zu entgehen, wurde von der DGAI ein Studienzentrum eingerichtet, das den Ausbau der wissenschaftlichen Aktivität sowie der nationalen undinternationalen Sichtbarkeit der Wissenschaft dienen soll.

Weitere Aktivitäten der DGAI umfassen Maßnahmen zur Stärkung von Innovation und Forschung, Förderung der Exzellenz in Ausbildung und Lehre sowie des Nachwuchses in der Anästhesiologie. Nicht zuletzt soll durch erhöhte Medienpräsenz die Sichtbarkeit des Fachs in der Öffentlichkeit gesteigert werden. (red/HL)