3-Länder-Manifest „Zeitenwende in der Medizin“: Eine deutsch-österreichisch-schweizerische Initiative soll den Vorrang ärztlichen Handelns gegenüber wirtschaftlichen Interessen im Gesundheitswesen stärken. ÖGARI Past President Prim. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar ist Mitglied der Autorengruppe.

Wirtschaftliche Belange wie Umsatzmaximierung und Effizienz prägen zunehmend das Gesundheitswesen. Die Betriebswirtschaft scheint den Interessen des gesundheitlichen Gemeinwohls gegenüber das Ruder zu übernehmen. Einen Kontrapunkt wollen die Autoren des neuen „3-Länder-Manifests: Zeitenwende in der Medizin – Patientenversorgung auf dem Gefährlichen Weg in die Ökonomisierung und Industrialisierung – 10 Forderungen für eine menschengerecht ausgestaltete Versorgung“ setzen. „Der Vorrang der Medizin gegenüber Ökonomie und Technologie ist auf allen Ebenen beruflichen Handelns durch die Ärzteschaft sicherzustellen“, lautet eine der Kernaussagen.  

Univ.-Prof. Dr. Klaus Mann (Endokrinologiezentrum alter Hof München, Mitautor des deutschen Ärzte-Codex/Klinik Codex), Dipl.-Ing. Thomas Kapitza (ebenfalls Mitautor des Ärzte-Codex/Klinik-Codex), Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar (Vorstand der Abteilung für Anästhesiologie, Allgemeine Intensivmedizin, Notfallmedizin, Interdisziplinäre Schmerztherapie und Palliativmedizin am Klinikum Klagenfurt und Initiator des ÖGARI-Ethik-Manifests für eine menschlichere Medizin) und Univ.-Prof. Dr. Bernhard Egger (Ordinarius für Chirurgie Universität Fribourg) hatten als Autoren des Manifests für den Raum Deutschland, Österreich und die Schweiz ein Ziel: Ergänzung von bestehenden Berufseiden, Gelöbnissen und Selbstverpflichtungen der Ärzteschaft durch Schließen der „inhaltlichen Lücke zwischen medizinethischen Grundsätzen und moralischen Herausforderungen des durch Ökonomisierung, Kommerzialisierung und Industrialisierung geprägten ärztlichen Berufsalltags“.

Umso wichtiger wird das in den aktuellen Rahmenbedingungen, wie eingangs festgestellt wird: „Demografischer Wandel, medizinisch-technischer Fortschritt, Ressourcenverteilung, Versorgungsthemen am Lebensende sowie Qualitäts- und Administrationsanforderungen“.

Wichtigste Ziele ärztlichen Handelns gefährdet

Im Zusammenhang mit der zunehmend wirtschaftlichen Betrachtungsweise des Gesundheitswesens durch Politik, Verwaltung und Management führe das zu tiefgreifenden Zielkonflikten: „Ökonomisierungs-, Kommerzialisierungs- und Industrialisierungstendenzen gefährden die wichtigsten Ziele ärztlichen Handelns und den gesellschaftspolitischen, sozialpolitischen und gesundheitspolitischen  Auftrag des Gesundheitssektors. Die Grenzen zwischen ökonomisch und ärztlich motiviertem Handeln verschwimmen, und medizinethische Denkweisen beziehungsweise deren Umsetzung geraden in Bedrängnis“; heißt es im Manifest.

Allein schon die Ökonomisierungstendenzen führten zu gefährlichen bzw. schädlichen Konsequenzen, wie Prof. Mann, Dipl.-Ing. Kapitza, Prof. Likar und Prof. Egger ausführen:

  • Kategorisierung der Patienten nach überwiegend ökonomischen Kriterien
  • Konzentration auf Fallzahl-Maximierung
  • Nichtmedizinische Leistungsvereinbarungen mit angestellten Ärzten
  • Fehlanreize der Abrechnungssystem (Überbetonung rein technischer Leistungen)
  • Ökonomisch induzierte Unter- und Übertherapie
  • Dominanz von Wettbewerbskriterien
  • Dokumentationsexzesse
  • Primäre Gewinnorientierung statt Bedarfsdeckung

„Durch alle diese oben genannten Entwicklungen wird eine menschengerechte, patientenzentrierte und verantwortungsvolle medizinethische Versorgung zugunsten wirtschaftlicher Ziele bereits jetzt erheblich beeinträchtigt“, stellen die Autoren fest. Trotz starker Unterschiede in Organisation und Struktur des Gesundheitswesens in Deutschland, Österreich und der Schweiz ließen sich solche Tendenzen überall feststellen.

Neoliberales Marktmodell für Gesundheitssektor ungeeignet

Hier müsse gegengesteuert werden: „Rein marktwirtschaftlich ausgerichtete Kräfte haben in der Patientenversorgung solidarisch finanzierter Gesundheitssysteme keinen Platz. Das neoliberale Marktmodell ist für den Gesundheitssektor ungeeignet, das stellen wir im 3-Länder-Manifest klar“, betont Prof. Likar.

Immer müsse es im Gesundheitswesen primär um das Wohl der Patientinnen und Patienten gehen – von allem Anfang an unter anderem aus folgendem Grund: „Patienten suchen Ärzte auf, weil sie Hilfe benötigen und diese erwarten. Bei dieser persönlichen Begegnung vertrauen sie sich dem Arzt an und geben damit einen Teil ihrer Autonomie auf. Vertrauen ist die wichtigste Voraussetzung erfolgreicher medizinischer Behandlung“, so das Manifest.

Ökonomie und Technologie – Hilfsmittel nicht Kern medizinischer Versorgung

Dem gegenüber müsse negativen Tendenzen Einhalt geboten werden, stellten die Autoren fest: „Ökonomie und Technologie sind ausschließlich Hilfsmittel, die dem Wohl der Patienten dienen sollen und zu diesem nachweisbar beitragen müssen, um damit das medizinische Handeln zu unterstützten, statt es zu dominieren. Erwerbswirtschaftliche Zielvorgaben von Versorgungseinrichtungen erzeugen erhebliche Interessenskonflikte bei den ärztlichen und pflegerischen Mitarbeitern und führen grundsätzlich zur schädlichen Ökonomisierung der Patientenversorgung.“

In einer freiheitlich- demokratischen Gesellschaftsordnung müssten Ärztinnen und Ärzte freie Entscheidungen für und zugunsten ihrer Patientinnen und Patienten treffen. „Der Schutz der Ärzteschaft vor Weisungen durch Nicht-Ärzte muss uneingeschränkt rechtlich verankert und gewährleistet sein“, heißt es in dem Manifest unter anderem.   

Ökonomische Konflikte im Gesundheitswesen dürfen nicht durch vermehrte interne Konkurrenz unter Ärzten mit Entsolidarisierung und dem Untergraben der Kollegialität angegangen werden. „Die unreflektierte Verwendung ökonomischer Begrifflichkeiten, Denkmuster und Zielvorgagen im Gesundheitswesen darf nicht zur Perversion des ärztlichen Auftrags führen“, heißt es in dem Manifest.

„Patienten sind keine Kunden. Gesundheitsinstitutionen sind keine primär gewinnorientierten Unternehmen“, fasst Prof. Likar eine wichtige Kernaussage zusammen.

Die 10 Forderungen des Manifests in Kurzform:

  • Die Ärzteschaft hat aus ihrer Verantwortung heraus das Recht und die Pflicht, auf Fehlentwicklungen hinzuweisen und Veränderungen einzufordern.
  • Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient.
  • Vorrang medizinischen Handelns vor erwerbswirtschaftlichen Zielen.
  • Verpflichtung des Staates die Arzt-Patienten-Beziehung zu schützen, kein Rückzug auf die bloße Vorgabe ökonomischer Richtlinien.
  • Freie Entscheidungsmöglichkeit für Ärzte im Sinne und zugunsten der Patienten.
  • Technologieeinsatz nur als Hilfsmittel.
  • Vorbehalt aller Entscheidungen in diagnostischer und therapeutischer Hinsicht für die Ärzteschaft gemeinsam mit ihren Patienten.
  • Gesundheitsbezogene Datensammlungen müssen im Eigentum, Verwendungshoheit und unter Kontrolle der Patienten bleiben.
  • Die Würde des Menschen ist stets und besonders im Erkrankungsfall unantastbar.

Quelle: Mann K et al. 3-Länder-Manifest: Zeitenwende in der Medizin – Patientenversorgung auf dem gefährlichen Weg in die Ökonomisierung und Industrialisierung. 10 Forderungen für eine menschengerecht ausgestaltete medizinische Versorgung. Dtsch Med Wochenschr 2019; 144:e145–e152.