Der Verfassungsgerichtshof hat heute zu einem Antrag zum Thema Sterbehilfe und assistierter Suizid seine Entscheidung verkündet. Demnach ist die aktuelle Bestimmung des § 78, 2. Tatbestand Strafgesetzbuch (Hilfeleistung zum Suizid) verfassungswidrig und daher vom Gesetzgeber neu zu gestalten. Als nicht verfassungswidrig gesehen werden die §§ 77 (Tötung auf Verlangen) und 78, 1. Tatbestand (Verleitung zum Selbstmord).

Gleichermaßen erleichtert und kritisch sieht die Österreichische Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin das aktuelle Erkenntnis. „Als Anästhesistinnen und Anästhesisten bewegen wir uns in allen Bereichen unseres vielfältigen Tätigkeitsgebietes – vom notfallmedizinischen Einsatz über die Arbeit im Schockraum, von der Narkoseführung über die Betreuung kritisch kranker Menschen auf den Intensivstationen, von der Schmerztherapie bis zur Palliativbetreuung unheilbar Kranker – häufig auf dem schmalen Grad zwischen Leben und Tod. Daher sind wir Tag für Tag mit den Ängsten, Sorgen und Ambivalenzen konfrontiert, die mit der letzten Phase des Lebens verbunden sein können”, sagt Univ.-Prof. Dr. Klaus Markstaller, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI). „Wir begrüßen die höchstgerichtliche Entscheidung, dass die Bestimmungen des Strafgesetzbuches zur Tötung auf Verlangen und zur Verleitung zum Suizid aufrecht bleiben. Die möglichen Konsequenzen der Aufhebung des Verbots einer Suizid-Beihilfe sehen wir allerdings mit einiger Sorge. Die aktuelle Gesetzeslage gibt uns, wie wir dies auch wiederholt klargestellt haben, die Möglichkeit, für jede Patientin und jeden Patienten im Einvernehmen mit ihr oder ihm individuell zu entscheiden, welche Therapien wir umsetzen oder wann wir eine Therapiezieländerung in Richtung palliative Begleitung vornehmen sollen“, so der ÖGARI-Präsident. „Wir haben viele Möglichkeiten und Methoden, auch schwere Leiden und belastende Symptome effektiv zu lindern. Zudem hat der Gesetzgeber vor zwei Jahren auch eine wichtige Klarstellung im Ärztegesetz vorgenommen, indem er ausdrücklich eine Beistandspflicht für Sterbende unter Wahrung ihrer Würde festlegte und Rechtssicherheit für wichtige palliativmedizinische Maßnahmen schaffte.“

Im Zusammenhang mit der Diskussion über Sterbehilfe und assistierten Suizid werde immer wieder – wohl nicht zufällig – ein überholtes und falsches Bild gezeichnet, so Univ.-Prof. Dr. Barbara Friesenecker, Leiterin der AG Ethik in der ÖGARI. „Es wird häufig suggeriert, dass ein würdiges Lebensende nur durch eine vorzeitige Beendigung des Lebens möglich wäre. Das spiegelt aber nicht im Geringsten wider, dass wir mit der Palliativmedizin vielfältige Möglichkeiten haben, um ein würdiges Lebensende zu begleiten – von der hochwirksamen Schmerztherapie über effektive Methoden, Atemnot zu lindern und Ängste oder Depressionen zu behandeln. Sind Symptome nicht anders in den Griff zu bekommen, ist sogar die medikamentöse Herbeiführung einer verminderten oder aufgehobenen Bewusstseinslage (Bewusstlosigkeit) möglich, um Linderung sicherzustellen. Es ist bedauerlich, dass Sterbehilfe-Befürworter ein sehr einseitiges Bild zeichnen.“ Dies sei auch vor dem Hintergrund bedenklich, dass hier Organisationen Lobbying betreiben und das rechtliche Vorgehen unterstützten, die klare geschäftliche Interessen auf dem Gebiet der Sterbehilfe haben.

Dass der Gesetzgeber jetzt zur Neuregelung aufgerufen ist, gibt die Möglichkeit, das sehr vielschichtige Thema mit der gebotenen Sorgfalt zu behandeln, betont Prof. Markstaller. „Wir setzen darauf, dass bei der Neugestaltung der Rechtsmaterie auch Expertinnen und Experten aus der klinischen Praxis beigezogen werden und dass durch sehr klare Definitionen der Missbrauch einer neuen Regelung ausgeschlossen wird.“ Zugleich müsse unbedingt sichergestellt werden, dass in ganz Österreich flächendeckend eine effektive schmerz- und palliativmedizinische Versorgung zur Verfügung steht, um allen Menschen auch andere Optionen eines Sterbens in Würde zugänglich zu machen, als ihrem Leben vorzeitig ein Ende zu setzen. Prof. Markstaller: „Wir stehen bereit, unsere Expertise beizusteuern, kritisch zu begleiten und sorgfältig zu beobachten, welche gesellschaftlichen Prozesse mit dieser Entscheidung in Gang gesetzt werden.“