23.08.2022 | COVID-19 | Nachrichten| Springer Medizin

Ursache für schwere Verläufe

COVID-19: RNA-Molekül PIRAT steuert die Immunabwehr

verfasst von: Ingrid Kreutz

RNA-Moleküle nehmen eine Schlüsselstellung bei schweren COVID-19-Verläufen ein: Die Konzentration des Steuermoleküls PIRAT verringert sich, was zu einer überschießenden Immunantwort beiträgt, wie sie für schwere Fälle typisch ist, haben Forschende aus Marburg herausgefunden.

Schwere Verläufe von COVID-19 beruhen oft auf einer überschießenden Reaktion des Immunsystems, die ihrerseits auf eine Fehlsteuerung zurückgeht. Zum einen muss der Körper eine schlagkräftige Abwehr von Krankheitserregern gewährleisten. Zum anderen darf die Immunreaktion dabei nicht überhandnehmen oder gar Gewebe und Organe schädigen. Doch die molekularen Regelkreise, die bei COVID-19 die Immunantwort steuern, sind bislang nicht im Detail verstanden, teilt die Philipps-Universität Marburg mit.

Droht eine Schädigung des Körpers, etwa durch eine Infektion mit einem Krankheitserreger wie SARS-CoV-2, so lösen Signalmoleküle, so genannte Alarmine, eine Reaktion der Immunabwehr aus. Das Immunsystem von Säugetieren wie dem Menschen hat ausgefeilte Kontrollmechanismen hervorgebracht, um die Abwehrreaktionen in engen Bahnen zu halten.

Eine Forschergruppe um Professor Leon Schulte vom Institut für Lungenforschung der Philipps-Universität Marburg untersuchte in Immunzellen von Patientinnen und Patienten mit schwerer COVID-19, welche Funktion dabei eine noch weitgehend rätselhafte Molekülklasse übernimmt, die sogenannten langen nichtkodierenden RNAs, kurz lncRNAs (PNAS 2022; online 23. August).

Mengenverhältnis von zwei RNA-Molekülen entscheidend

Das Team setzte zu diesem Zweck auf eine neue Variante der Hochdurchsatz-Sequenziertechnik. „Das verwendete Verfahren erlaubt es, die Gegenwart und Menge bestimmter RNAs gleichzeitig in mehreren tausend Zellen aus einer Patientenprobe zu messen“, erläutert Koautor Professor Holger Garn, der das kürzlich eingerichtete Labor für Einzelzell-RNA-Sequenzierung an der Philipps-Universität Marburg leitet.

Wir konnten zeigen: Das Mengenverhältnis von zwei dieser RNA-Moleküle in Blutzellen ist ausschlaggebend, um die Produktion von Botenstoffen zu regulieren, die mit schweren COVID-19-Verläufen einhergehen, heißt es in der Mitteilung. Einerseits liege das Molekül PIRAT in den Blutzellen der Betroffenen vermindert vor. Es könne deswegen die Produktion von Alarminen nicht drosseln, die durch andere Faktoren angestoßen wird. Andererseits weisen die Zellen vermehrt das Molekül LUCAT1 auf, das die Produktion von Immunproteinen fördert.

Nichtcodierende RNA nimmt beim Menschen eine Schlüsselstellung bei der systemischen Antwort auf eine Infektion mit dem Coronavirus ein, so die Uni Marburg. „Der Abbau einer solchen RNA hebt eine natürliche Bremse für eine überschießende Immunreaktion auf. Wir glauben, dass ein therapeutischer Eingriff in diesen Regelkreis vor schwerer COVID-19 schützen schlussfolgert Schulte.

Quelle: Ärzte Zeitung