Gedanken eines ÖGARI Präsidenten am Ende seiner Funktionsperiode

Die globale SARS-CoV-2-Krise hat für eine breite Öffentlichkeit das Fach Anästhesie und Intensivmedizin als Rückgrat der Spitalsversorgung auf ganz besondere Weise sichtbar gemacht. Für viele Menschen wurde deutlich und besser verständlich, was die moderne Intensivmedizin leistet, und dass sie nicht auf Gerätemedizin reduzierbar ist, sondern der menschliche Faktor ebenfalls eine zentrale Rolle spielt. Andererseits hat diese Gesundheitskrise auch deutlich gezeigt, dass nicht immer „Alles“ für „Jedermann und Jedefrau“ medizinisch getan werden kann. Während der schlimmsten Phasen der Pandemie wurden zahlreiche zeitnah notwendige chirurgische und invasiv therapeutische Eingriffe verschoben, wichtige Screening-Programme unterbrochen und Patient:innen in Notaufnahmen hinsichtlich der Aussicht auf eine erfolgreiche intensivmedizinische Therapie triagiert.

Letzteres möchte ich Ihnen anhand einiger Daten der AGES und anhand eigener Krankenhausdaten präsentieren:

Per 6.4.2021 befanden sich 583 COVID-19-Patientinnen und Patienten in Intensivpflege, das entsprach rund 29 % der gemeldeten Gesamtkapazität von 2.022 Intensivbetten für Erwachsene zu diesem Zeitpunkt. Rund 35% der Patientinnen und Patienten in Intensivbetreuung sind im Beobachtungszeitraum der AGES verstorben. 55 % der Verstorbenen wurden ausschließlich auf Normalstationen gepflegt. Ich denke, dass diese Zahl eindeutig die Realität der Triage im Alltag, während der Spitzen der Pandemie wiedergibt.   Im St. Vinzenz Krankenhaus Zams hat sich auf den sogenannten Isolierstationen, NS der Inneren Medizin die in den Spitzenzeiten der Pandemie ausschließlich für COVID-19 Patient*innen genutzt wurden, die Mortalität verglichen mit der Zeit vor Corona vervierfacht. 

Die extrem hohe Belastung auf diesen Stationen hat zu einer deutlichen Frustration, vor allem des Pflegepersonals, geführt und dies zu einem Zeitpunkt, an dem der Mangel an qualifizierten Pflegekräften, bereits in allen Bereichen der Medizin spürbar war. Aus diesem Grund haben die allgemein öffentlichen Krankenhäuser aber auch chronische Pflegeeinrichtungen zahlreiche qualifizierte Mitarbeiter*innen verloren. Dieser Umstand manifestiert sich Österreichweit in anhaltenden Bettensperren auf Normalstationen, Intensivstationen und in chronischen Pflegeeinrichtungen wie z.B. Altersheimen.

Erneut haben wir die Situation, dass notwendige medizinische Behandlungen manchmal Wochen bis Monate lang aufgeschoben werden, dass Wartelisten besonders in chirurgischen Fachdisziplinen immer länger werden – wobei die aktuelle Lage in den verschiedenen Bundesländern stark variiert.   

In Österreich sind zurzeit rund 127.000 Pflege- und Betreuungspersonen (100.600 Vollzeitäquivalente) im akutstationären Bereich und im Langzeitbereich beschäftigt: rund 67.000 davon im Krankenhaus und rund 60.000 im Langzeitbereich. Der zukünftige Bedarf bis zum Jahr 2030 liegt, laut Angaben des BM für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, bei rund 76.000 zusätzlich benötigten Personen. Für Pflegefachkräfte (DGKP, PFA und PA) entspricht dies einem jährlichen Bedarf von 3.900 bis 6.700 zusätzlichen Vollzeitstellen.

Persönlich, kann ich mir nicht vorstellen, dass wir, unter Beibehaltung der derzeitigen strengen gesetzlich und berufspolitischen Vorgaben, den erforderlichen Nachwuchs auch nur ansatzweise für die Zukunft rekrutieren können. Als nur ein Beispiel möchte ich hier die Schwierigkeiten bei der Nostrifizierung von im Ausland erworbenen medizinischen und pflegerischen Qualifikationen erwähnen.    

Aber auch beim ärztlichen Nachwuchs haben wir zahlreiche Probleme. Die Ausbildungsordung für Mediziner*innen wurde in Österreich komplett geändert und für die neu eingeführte 9-monatige Basisausbildung, die  Grundlage für den Einstieg in jedes Spezialfach darstellt, wurden in den Krankenhäusern zu wenig Stellen geschaffen. Hinzu kommt, dass laut Österreichischer Ärztekammer 4 von 10 Medizinabsolvent*innen nach dem Studium in das Ausland abwandern.   

In der Ausbildung selbst verhindert das geltende, in Österreich leider sehr strikt ausgelegte Arbeitszeitgesetz (AZG), dass besonders engagierte Mitarbeiter*innen in Ausbildung, auch außerhalb der Kernarbeitszeit, oder nach einem Nachtdienst, komplexe medizinische Tätigkeiten, unter Aufsicht, durchführen können um ausreichend klinische Expertise zu erlangen. In vielen medizinischen Bereichen sind bereits gravierende Lücken in der Behandlungskontinuität spürbar. Die Folgen dieser Entwicklungen sind ebenfalls bereits sichtbar:  z.B. benötigen Fachärzt*innen in chirurgischen Fächern während ihrer Bereitschaftsdienste im zunehmenden Ausmaß erfahrene „abrufbare Kolleg*innen“ im Hintergrund um bei komplexen Notfällen z.B. nachts eine adäquate Versorgung gewährleisten zu können – oder chirurgische Eingriffe werden verzögert oder stufenweise durchgeführt, obwohl eine Primärversorgung bei entsprechender klinischer Expertise durchaus möglich gewesen wäre. Auch das Komplikationsmanagement wird komplizierter, da die Behandlung von Komplikationen nur mehr selten von den primär dafür Verantwortlichen durchgeführt wird. Im intensivmedizinischen Bereich fehlt es zunehmend an klinischer Berufserfahrung um z.B. Therapiezieländerungen im Sinne von DNE und CTC bei Patient:innen ohne realistischen Überlebenschancen frühzeitig zu argumentieren und gemeinsam im Team und unter Einbeziehung der nächsten Angehörigen festzulegen.   

Dieser Mangel an universell gut ausgebildeten Kolleg*innen in Akutfächern ist wahrscheinlich auch die Ursache dafür, dass sich für bestimmte Primariate, „in Deutschland sagt man Chefärzt*innenstellen“, immer weniger geeignete Kandidat:innen finden. Der derzeitige „Spezialisierungswahn“ führt, wie bereits erwähnt, zu massiven Einschränkungen in der Behandlungskompetenz, speziell außerhalb der Kernarbeitszeiten. Letzteres stellt ein großes Hindernis bei Bewerbungen für medizinische Führungspositionen dar. Im medizinischen Führungsbereichen benötigen wir begeisterte Mediziner*innen mit breiten medizinischen Spektrum und entsprechender klinischer Erfahrung. Was die Medizin nicht benötigt sind Manager:innen, die ihre Tage zwangsweise in Büros und Sitzungen mit Verwaltungspersonal verbringen. Diese Fehlentwicklung wurde leider von der Politik und vor allem von den Krankenhausverwaltungen in Österreich in den letzten 20 Jahren massiv gefördert.

Eine durchaus ähnliche kritische Entwicklung sehen wir derzeit auch in der außerklinischen Notfallversorgung. Die prähospitale Notfallmedizin in Österreich stützt sich neben der sanitäts-dienstlichen Versorgung auf eine bundesweite, rasch verfügbare notärztliche Behandlung. Aktuell ist ein diensthabender Notarzt für die Versorgung von rund 55.000 Einwohner*innen zuständig, mehr als 160 Notarzteinsatzfahrzeuge (NEF) sowie rund 40 Notarzthubschrauber (NAH) stehen bereit. Seit Jahren ist zu beobachten, dass die Zahl der Rettungs- und Notarzteinsätze österreichweit kontinuierlich steigt. Die Gründe sind mannigfaltig: Demografischen Veränderungen, gesteigertes Anspruchsverhalten der Bevölkerung, eine ausgedünnte Regelversorgung im niedergelassenen Bereich, fehlende mobile Dienste sowie eine zunehmende Rechtsunsicherheit der Leitstellen in Hinblick auf Qualifikation und Einsatz des nichtärztlichen Rettungsdienstes spielen dabei eine Rolle. Daraus resultiert ein hoher Anteil an Fehleinsätzen bzw. stornierten Einsätzen. In Zeiten eines europaweit zu beobachtenden Ärztemangels, der auch die notärztliche Versorgung immer mehr in Frage stellt, gibt die beschriebene Entwicklung Anlass zur Sorge. Hinzu kommt, dass das System der extramuralen Regelversorgung vor Ort – in erster Linie die Verfügbarkeit niedergelassener Allgemeinmediziner*innen, die auch außerhalb ihrer Ordinationszeiten die Erst- und Notfallversorgung stützen, immer schwächer wird.

Die ÖGARI arbeitet bei all diesen Problemen eng mit den zuständigen Ministerien zusammen. Dabei erweisen sich die Mitarbeiter:innen in den diversen Ministerien meist sehr kooperativ und verständnisvoll – die Umsetzung von Lösungsvorschlägen scheitert häufig an den dafür zuständigen Politiker:innen selbst, an Berufsverbänden und Kammern, die nicht bereit sind ihre Eigeninteressen hinter das Gemeinwohl zu stellen und letztlich auch am ausgeprägten Föderalismus unserer neun Bundesländer mit separaten Landessanitätsgesetzen.

Ich denke die Probleme mit denen wir national aber auch international zu kämpfen haben sind zu komplex um sie mittels politischer oder standespolitischer Ideologien zu lösen. Wir benötigen ein neues, am gesamtgesellschaftlichen Wohle orientiertes Denken und vor allem Verantwortliche mit neuen, innovativen Ideen für alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens!