Kommentar
Prim. Univ. Prof. Dr. Walter Hasibeder
President-elect ÖGARI

Werte Kollegen und Kolleginnen,

In einem kurzen Artikel (siehe unten) über die Auswirkungen des Wintersports auf Notfallsysteme und Krankenhäuser in Wintersportregionen beschreibt der leitende Notarzt Kollege OA Dr. Wolf sehr treffend mit welchen Herausforderungen Gesundheitssysteme saisonal konfrontiert werden können . Als Leiter einer Abteilung für Anästhesiologie und Intensivmedizin in mitten einer der schönsten Skiregionen Österreichs möchte ich dazu ergänzend feststellen: Gerade bei schlechten Schneeverhältnissen und gutem Wetter nehmen die Hochgeschwindigkeitsverletzungen auf Skipisten dramatisch zu. Mehrere schwere Thoraxtraumata, Milz-, Leber- und Nierenverletzungen werden wöchentlich über die verschiedenen Notarztsysteme an das Krankenhaus transferiert. Hinzu kommen Verletzungen der Wirbelsäule, komplexe Gelenks- oder schwere Beckenverletzungen, die oft einer raschen unfallchirurgischen Versorgung bedürfen. In dieser Zeit leisten chirurgische Teams und die Mitarbeiter der Abteilung für Anästhesiologie und Intensivmedizin, nahezu übermenschliches.

Ein zunehmendes Problem in der Bewältigung der zahlreichen Verletzungen stellen die limitierten Kapazitäten in Intermediate Care Bereichen dar. Schwere Leber, Milz und Nierenverletzungen werden heutzutage primär, in der überwiegenden Zahl der Fälle, konservativ behandelt. Diese Patienten müssen aber, wegen akuter Blutungsgefahr oft mehrere Tage invasiv monitiert und klinisch beobachtet werden. Das heißt Sie benötigen ein Intermediate Care Bett und dieses Bett steht nicht mehr für andere Patienten, z.B. nach ausgedehnten Operationen zur Verfügung. Alternativ können Bettenverantwortliche in dieser Zeit gehäuft zu medizinischen Triage-Entscheidungen gezwungen werden. Eine Situation, die von den Verantwortlichen und ihren Mitarbeitern als sehr belastend empfunden wird.

Gerade in Krankenhäusern in denen das Patientenaufkommen mit Schwerverletzten saisonal großen Schwankungen unterworfen ist, wären größere IMCU Bettenkapazitäten wünschenswert. Dabei könnte man die Zahl der tatsächlich betriebenen Betten politisch durchaus saisonal steuern und damit die damit einhergehenden Personalkosten in Grenzen halten.

Ein anderes Problem der Krankenhäuser in großen Tourismusgebieten ist die, durch EU-Verträge unterstützte, mangelhafte Zahlungsmoral ausländischer Krankenkassen. Die Bezahlung von erbrachten Leistungen in Millionenhöhe wird oft über Monate und gelegentlich Jahre und das sogar Zinsfrei verzögert. Gleichzeitig müssen Personal-, Infrastruktur- und Medikamentenkosten laufend vom Krankenhausträger gedeckt werden. In jährlich wiederkehrenden Zeitungsberichten wird dann von „Experten“ auf die steigenden Kosten und die sich negativ entwickelnden Krankenhausabgänge hingewiesen, ohne zu erwähnen, dass ein Großteil des Problems politisch bedingt und auch politisch zu lösen wäre!   

Der Tourismus und insbesondere der Wintertourismus bringt Geld und Wohlstand in unser Land. Veränderungen in der Zahl und Demographie der Gäste, technischer Fortschritt im Material und in der Pistenpräparation und vor allem Veränderungen der Inzidenz und Art schwerer Verletzungen im Wintersport erfordern aber neue Ideen und Konzepte zur Bewältigung und Finanzierung dieser Herausforderungen.

Ein Promille der Skifahrerinnen und Skifahrer  verletzt sich beim Wintersport – genug, um in frequentierten Skigebieten bei Notärzten und Unfallambulanzen Hochbetrieb zu sorgen. Doch oft sind die Helferinnen und Helfer bei Einsätzen selbst gefährdet.

 © Anna Rauchenberger

Der Skitourismus boomt. Das lässt auch die Zahl der Skiunfälle in die Höhe klettern, beobachtet OA Dr. Andreas Wolf. Der erfahrende Notarzt arbeitet an der Abteilung für Anästhesie des Krankenhauses St. Vinzenz in Zams, also im Herzen einer Tiroler Skiregion. „Im Einzugsgebiet des Spitals sind täglich 140.000 Skifahrer auf den Pisten unterwegs. Der Anteil der Freizeitsportlerinnen und -sportlern, die sich beim Skifahren verletzen, liegt zwar nur im Promillebereich. An Spitzentagen haben wir es aber mit bis zu 140 frisch verletzte Skifahrerinnen und Skifahrern zu tun“, berichtet Dr. Wolf. Die Hauptlast der Versorgung von Skiunfällen tragen dann die Unfall- oder Frischverletztenambulanzen. Wenn die Fälle kumulieren, müssen Ärzte und Pflegepersonal blitzschnell entscheiden, wer zuerst eine Behandlung braucht.

Mit dem Hubschrauber zum Unfallopfer

Doch auch die Notärztinnen und Notärzte sind in der Skisaison besonders gefordert. „Kolleginnen und Kollegen, die mit dem Hubschrauber zu Skiunfällen fliegen, sind im Winter stärker belastet als im restlichen Jahr. Sie übernehmen Skifahrer mit schwereren Verletzungen vom Pistendienst und begleiten sie ins Krankenhaus“, so Dr. Wolf. Geflogen werden muss, wenn es im alpinen Gelände keine andere Möglichkeit gibt, um die Verletzten abzutransportieren. „In Tirol stehen 16 Hubschrauber mit Notärzten zur Verfügung. Das ist eine Dichte, die es so sonst nirgends auf der Welt gibt.“

In der Regel klärt die Berg- bzw. Pistenrettung, ob ein fliegender Notarzteinsatz notwendig ist. „Wir erleben allerdings auch Skifahrer, die auf einen Hubschraubertransport bestehen, obwohl sie nur eine Prellung erlitten haben“, sagt Dr. Wolf. Einen Grund für solche „unnötigen“ Einsätze sieht der Notarzt auch darin, dass viele Liftgesellschaften stolz auf ihre eigenen Hubschrauberdienste sind. „Durch diesen Luxus glauben die Touristinnen und Touristen, dass sie bei allem, was in den Bergen passiert, ein Hubschrauber nötig und verfügbar ist“, so der Notarzt. Das kann aber für die Betroffenen empfindlich teuer werden, denn seitens des Landes gibt es klare Regel für Einsätze. Entspricht die Diagnose nicht, muss der Skifahrer die Rechnung selbst übernehmen. „Diesbezüglich sind die Skifahrer noch zu wenig aufgeklärt“, warnt Dr. Wolf.

Von Knochenbrüchen bis zur aufgeschnittenen Halsschlagader

Die häufigsten Verletzungen beim Skifahren sind Knochenbrüche. „Die Verletzungsmuster haben sich allerdings in den letzten Jahren geändert und hängen auch von den Schneeverhältnissen ab“, erklärt Dr. Wolf. Einfache Frakturen passieren, wenn viel Schnee liegt. Bei wenig Schnee fahren die Skiläufer zumeist schneller. Es kommt dann eher zu Aufprallverletzungen, also komplexeren Gelenksläsionen und komplizierteren Brüchen.

Auch die Ski spielen eine entscheidende Rolle für Unfälle. „Mit den neuen Carving-Skiern erreicht man ein höheres Tempo. Die Skifahrer können diese Geschwindigkeit oft nicht abschätzen und prallen zusammen“, so Dr. Wolf. Ein weiteres Problem ist, dass immer weniger Skifahrer ihre eigene Ausrüstung mitnehmen, sondern Skier ausleihen. „Die Skifahrer überschätzen jedoch oft ihre Fähigkeiten und der vermeintlich beste Ski passt nicht zu ihrem Können. Ein richtiger Carver braucht viel Krafteinsatz und ungeübte Skifahrer sind nach einer Stunde erschöpft. Dann passieren die Unfälle.“ Auch werden bei den Leihski die Kanten jeden Tag geschliffen. Dadurch greift der Ski beim Schwung anders, als es viele Skifahrerinnen und Skifahrer gewohnt sind. „Die Kanten können außerdem messerscharf sein“, warnt Dr. Wolf. Vor kurzem musste ein Skifahrer behandelt werden, weil er durch die Skikante eine Schnittverletzung an einer Halsarterie erlitten hat.

Zwei große Risikofaktoren: Alkohol und Dunkelheit

Häufig ist Alkoholkonsum Ursache für Skiunfälle. „Betrunken Skifahren ist ähnlich wie Autofahren unter Alkoholeinfluss – die Reaktionszeit verlangsamt sich und die eigenen Fähigkeiten werden überschätzt. Ich möchte die Skifahrer auch darauf hinweisen, dass Versicherungen die Kosten von alkoholbedingten Unfällen teilweise nicht mehr übernehmen“, sagt Dr. Wolf.

Kritische Situationen entstehen auch, wenn Skifahrer erst bei Einbruch der Dunkelheit abfahren, Pistenfahrzeuge nicht mehr sehen können und mit ihnen kollidieren. Wolf: „Die Fahrzeuge sind mit Stahlseilen gesichert. Das Seil liegt zunächst unsichtbar im Schnee und schnellt in die Luft, wenn das Fahrzeug startet. Wenn da jemand dagegen fährt, kann das tödlich enden.“

Schwierige Einsätze – Gefahr für die Notärzte

Jeder Einsatz im alpinen Bereich ist von den Naturgewalten abhängig und somit immer risikobehaftet. „Beim Einsatz nach einem Lawinenabgang weiß man nicht, ob noch weitere Schneemassen nachrutschen“, sagt Dr. Wolf. „Aber jeder Einsatz wird von einem Team aus Fahrer oder Pilot, Notfallsanitäter und Bergretter durchgeführt. Gemeinsam wird dann eingeschätzt, ob uns wir uns mit diesem Einsatz selbst gefährden. Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es aber nie.“ Zumeist ist es so, dass vor Eintreffen des Notarztes bereits ein Ersthelfer der Bergrettung oder Polizei beim Verletzten ist. „Die sind noch gefährdeter als wir, weil sie sofort zu den Menschen müssen, die Hilfe brauchen. Auch bei Nacht und bei schlechtem Wetter.“  

Besonders in Erinnerung bleiben den Notärztinnen und Notärzten Einsätze, bei denen es kritisch wird oder wenn Patienten zu Tode kommen. „Mein prägendstes Erlebnis war der Rettungseinsatz nach der Lawinenkatastrophe in Galtür im Februar 1999. Damals gab es 38 Todesopfer“, berichtet Dr. Wolf.

Insgesamt stellt Dr. Wolf der medizinischen Versorgung von Skiunfällen in Österreich ein gutes Zeugnis aus. „Mich stört nur, dass behauptet wird, Skifahren sei besonders gefährlich. Wenn alles passt, von der Ausrüstung, den Pistenverhältnisse bis zur Einschätzung des skifahrerischen Könnens, ist es ein schöner Massensport.“ (RED/GP/SW)