Am Mittwoch, 4. Jänner 2023 wurde ein Artikel in den Salzburger Nachrichten veröffentlicht, zu dem die Vorsitzende der ARGE Ethik der ÖGARI, Professor Barbara Friesenecker, die Leiterin des Qualitäts-, Risiko-, und Ethikmanagements der SALK, Dr. Astrid Steinwendtner-Kolator und der Präsident der ÖGARI, Professor Walter Hasibeder in einem Brief an die Redaktion der SN gemeinsam Stellung nahmen.

SALZBURGER NACHRICHTEN 04.01.23: Patientenverfügungen verfehlen oft ihre Wirkung 

Spitäler müssen laut Gesetz nicht online abfragen, ob eine Patientenverfügung vorliegt. Zudem fehlt ein einheitliches Onlineregister, das soll erst 2024 kommen – aber auch nur für neue Fälle. 

Salzburger Nachrichten vom 04.01.23

 SN/STOCKADOBE.COM 

Ein Salzburger Anwalt begleitete vergangenen Oktober seine Mutter, als sie von der Rettung mit Blaulicht ins Landeskrankenhaus gebracht wurde. Dort angekommen, staunte er nicht schlecht: Der diensthabende Arzt wusste nicht, dass es für die Frau Anfang 80 eine verbindliche Patientenverfügung gab – obwohl diese ordnungsgemäß seit 2019 im Onlineregister der Rechtsanwaltskammer hinterlegt war. Der Mann, der anonym bleiben will, ärgert sich noch heute darüber: “Es war reiner Zufall und auch ein Glück, dass ich dabei war und auf die Patientenverfügung hinweisen konnte. Denn bei meiner Mutter stand es Spitz auf Knopf. Wenn ich nicht dabei gewesen wäre, wäre sie möglicherweise an Maschinen angeschlossen worden – was sie definitiv nicht wollte. Und das wäre irreversibel gewesen, denn wenn man sie von den Maschinen später aufgrund der Patientenverfügung abgeschlossen hätte, wäre es Mord gewesen.”

Spitäler würden oft nicht über Patientenverfügungen informiert

Als Folge wurde der Anwalt, der in seiner Kanzlei neben jener seiner Mutter auch für andere Klienten Patientenverfügungen aufgesetzt hat, selbst aktiv – und kam noch mehr ins Staunen: Zunächst schilderte er den Fall dem Österreichischen Rechtsanwaltskammertag (ÖRAK), seiner bundesweiten Standesvertretung. Dort hieß es per E-Mail, dass der Missstand, dass Spitäler oft nicht über Patientenverfügungen informiert seien, der Kammer leider bekannt sei. Wirklich aufgebracht hat den Mann dann die Antwort der Salzburger Landeskliniken (SALK) auf sein Beschwerde-E-Mail Anfang Dezember. Im SALK-Schreiben hieß es, man vertrete “den Standpunkt, dass es eine Bringschuld des Patienten ist, uns auf eine vorliegende Patientenverfügung hinzuweisen und diese auch zur Verfügung zu stellen”.

Bundesweite Register sind nicht miteinander verknüpft

Wie SN-Recherchen ergaben, dürfte die Salzburger Patientin kein Einzelfall sein – wie auch. Denn sowohl ÖRAK als auch Notariatskammer führen jeweils in Kooperation mit dem Roten Kreuz bundesweite Onlineregister, die aber nicht miteinander verknüpft sind, wie ÖRAK-Generalsekretär Bernhard Hruschka bestätigt. Er spricht auch eine Gesetzeslücke an: “Es gibt aktuell leider keine gesetzliche Verpflichtung der Krankenanstalten oder des Arztes, das Vorliegen einer Patientenverfügung elektronisch abzufragen.” Daher empfiehlt die Kammer den Betroffenen, die Verfügung, die es auch als Ausweis im Scheckkartenformat gibt, immer mitzuführen. Unverständlich ist für Hruschka zudem, dass die Verfügungen in Onlineform nach wie vor nicht Teil der elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) sind: “Dabei wurde mit der Gesetzesnovelle, die 2019 in Kraft getreten ist, genau diese Möglichkeit geschaffen.” Der Generalsekretär fordert zudem ein, dass es auch eine Möglichkeit für jene Bürger geben müsse, die sich aus dem ELGA-System abgemeldet hätten – was laut dem Gesetz möglich ist.

Kein einheitliches Onlineregister

Auch der Präsident der Salzburger Notariatskammer, Claus Spruzina, kritisiert das Fehlen eines einheitlichen Onlineregisters samt Abfrageverpflichtung: “Da hieß es vom Gesundheitsministerium immer: Das wird es irgendwann geben. Aber es ist nie zur Vereinheitlichung gekommen.” Zudem könnten einzelne Spitalsverbünde wie die SALK derzeit gar nicht auf das Register der Notare zugreifen, sagt Spruzina. Außerdem stellt er klar, dass eine Patientenverfügung bei medizinischen Notfällen oftmals wirkungslos sei: “Bei Verkehrsunfällen hilft sie nichts. Auch wenn in der Verfügung steht, dass ich nicht reanimiert werden will, wird es trotzdem in der Regel gemacht, weil der Sanitäter nicht so schnell nachschauen kann.” Selbiges gelte etwa für Herzinfarkte, sagt Spruzina. Er äußert zudem Verständnis für das Bringschuld-Argument der SALK: “Wenn es keine einheitlichen Regeln gibt, kann ich von den Spitalsmitarbeitern nicht verlangen, dass sie die Informationen online selber zusammensuchen.” Das wäre nur zumutbar, wenn es ein einheitliches Register gäbe, sagt er.

Fehlende “Nachschauverpflichtung” der Spitäler

Auch Isabel Rippel-Schmidjell, Leiterin der Salzburger Patientenvertretung, nennt die fehlende “Nachschauverpflichtung” der Spitäler bzw. Ärzte “eine unbefriedigende Situation” für Patienten. Als Service biete ihre Einrichtung daher an, dass jede Verfügung direkt an die SALK weitergeleitet werde, damit sie dort aufliege. “Uns wurde mitgeteilt, dass dieses Informationssystem gut funktioniert”, sagt sie – betont aber auch: “Mit den weiteren Spitälern in Salzburg besteht keine derartige Kooperation.” Fälle, bei denen Patienten Behandlungen erhielten, die sie per Verfügung ausgeschlossen haben, die aber trotzdem durchgeführt wurden, weil Arzt oder Spital nichts von der Verfügung wussten, sind weder Rippel-Schmidjell noch ÖRAK oder Notariatskammer bekannt.

Verknüpfung der Register mit Anfang 2024 erwartet

Aus dem Gesundheitsministerium heißt es: “Die ELGA GmbH wurde mit der Umsetzung der Elektronischen Patientenverfügung (ePatientenverfügung) beauftragt, die Finanzierung durch den Bund ist bereits gesichert.” Das Projekt habe sich aber pandemiebedingt verzögert. Mittlerweile liege das Umsetzungskonzept vor; an der Anpassung der entsprechenden Rechtsgrundlagen werde derzeit gearbeitet – da für ein einheitliches Register sowohl eine Novelle des Patientenverfügungs- als auch des Gesundheitstelematikgesetzes nötig sei. Und der zeitliche Horizont? “Die Verknüpfung sollte im Lauf des Jahres 2024 zur Verfügung stehen”, heißt es aus dem Ministerbüro. Dann sollten alle ab dem Zeitpunkt neu errichteten verbindlichen Patientenverfügungen online verfügbar sein. Der Wermutstropfen: “Eine automatische Übernahme der in den Registern bestehenden Patientenverfügungen ist derzeit nicht angedacht, da die erforderliche Datenqualität nicht gesichert werden kann”, lautet die weitere Auskunft. Aber immerhin sei die Umsetzung “so geplant, dass die Teilnahme an ELGA keine Voraussetzung darstellt”, heißt es.

Für die Mutter des Anwalts ging der Spitalsaufenthalt gut aus; für ihren Sohn bleibt ein bitterer Nachgeschmack: “Mir war nicht bewusst, dass die Umsetzung dieses Gesetzes dermaßen schleißig gehandhabt wird. Als Konsequenz werde ich keine Patientenverfügungen mehr aufsetzen. Denn ich müsste die Betroffenen aufklären, dass so ein Dokument im Notfall nichts hilft.”

Was eine Patientenverfügung umfasst, wo man sie abschließt und wie viel sie kostet

Das Gesetz
Seit 2006 gibt es per Gesetz in Österreich die Möglichkeit, nach dokumentierter Beratung durch einen Arzt eine verbindliche Patientenverfügung aufsetzen zu lassen. In dieser können Betroffene, die im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte sind, einzelne lebensverlängernde medizinische Maßnahmen, die sie an sich nicht angewendet haben wollen, ausschließen. Beispiel dafür sind etwa eine künstliche Ernährung oder Beatmung, eine Reanimation oder die Gabe bestimmter Medikamente oder Infusionen.
Wer ist zuständig?
Abgeschlossen werden kann solch eine Verfügung bei einem Anwalt, einem Notar, einer Patienten- oder einer Erwachsenenvertretung oder bei Hospiz Österreich; sie gilt für acht Jahre. Beim Österreichischen Rechtsanwaltskammertag (ÖRAK) sind derzeit rund 23.890 Patientenverfügungen registriert; bei der österreichischen Notariatskammer waren es Ende November 2022 knapp 43.000. Dazu kommen noch jene, die bei den Patientenvertretungen bzw. -anwaltschaften in den Bundesländern abgeschlossen wurden; allein in Salzburg sind das rund 5000. Es gibt aber bis dato kein bundeseinheitliches Register. Daher kann auch die Summe aller in Österreich geltenden Patientenverfügungen nur geschätzt werden.

Wenige Abfragen
Zudem hat der betroffene Salzburger Anwalt bei der Grazer EDV-Firma nachgefragt, die das Online-Register für die ÖRAK erstellt hat – und erfahren, “dass offenbar etwa die Hälfte der Krankenanstalten die ihnen zur Verfügung gestellten Onlinezugänge zur Einsichtnahme in das Register noch nie benutzt hatten”. Auch der ÖRAK-Generalsekretär spricht von einer “überschaubaren Zahl an Abfragen”: Konkret hätten 2022 bis kurz vor Weihnachten nur 33 Spitäler ihren Online-Zugang zum ÖRAK-Patientenverfügungsregister genutzt; wobei es laut Auskunft des Gesundheitsministeriums samt (teils privaten) Reha- Zentren und Sanatorien rund 270 Krankenanstalten gibt.

Die Kosten
Das Aufsetzen einer Patientenverfügung ist bei der Salzburger Patientenvertretung kostenlos, bei Anwälten ist sie, je nach Beratungsumfang, ab 120 Euro zu haben.

von Stefan Veigl/Salzburger Nachrichten/03. Jänner 2023/19:45 Uhr

Stellungnahme zum Artikel „Verfügungen der Patienten verfehlen oft ihre Wirkung“ von Stefan Veigl, SN 4.1.2023, Rubrik Wissen / Gesundheit

Verfasst von: Univ.-Prof. Dr. med. Barbara Friesenecker, Univ-Prof. Dr. med. Walter Hasibeder, OÄ Dr. med. Astrid Steinwendtner-Kolator, 4.1.2023 um 12:50 Uhr

Die Inhalte des Artikels „Verfügungen der Patienten verfehlen oft ihre Wirkung“ von Stefan Veigl, SN 4.1.2023, Rubrik Wissen / Gesundheit bedürfen dringend der Erwiderung, da hier einige Inhalte missverständlich, verwirrend und auch teilweise falsch für die Leserschaft dargestellt sind:

Es ist durchaus richtig, dass es derzeit – anders als beim ‚Widerspruchsregister‘ der Transplantationsmedizin – noch kein einheitliches/verpflichtendes Register für die Erfassung von Patient*innenverfügungen gibt. Patient*innenverfügungen sollen im ELGA unkompliziert für die behandelnden Ärzt*innen nachfragbar werden, aber das ist derzeit noch Zukunftsmusik. Auch ist es aus diesem Grund derzeit tatsächlich noch eine „Bringschuld“ der Patient*innen dafür zu sorgen, dass für den Fall, dass jemand nicht mehr für sich selbst sprechen kann, die Patient*innenverfügung dem behandelnden Ärzt*innenteam zur Kenntnis gebracht werden muss (z.B. durch Angehörige). In manchen Krankenanstalten ist es durchaus üblich bei der Aufnahme nach einer Patienten*innenverfügung zu fragen und diese – so vorhanden – auch im Patient*innendokumentationssystem elektronisch zu registrieren und damit nachsehbar zu machen – relevant vor allem für die Durchführung geplanter operativer oder diagnostischer Eingriffe und für alle anderen planbaren medizinischen Behandlungen.

Im Notfall steht immer zuerst die lebensrettende Versorgung im Vordergrund medizinischen Handelns, sofern es hierzu nach ärztlicher Einschätzung ein Therapieziel und damit eine Indikation gibt. Sollte sich nach Beginn einer Behandlung sekundär herausstellen, dass Patient*in das primär angedachte Therapieziel auf Grund der Schwere oder weit fortgeschrittenen Erkrankung nicht erreichen kann, so ist jederzeit eine Therapiezieländerung erlaubt und auch geboten, sofern mit dem technisch möglichen „Weitermachen“ lediglich Sterben hinausgezögert und Leiden verlängert würde. Dies erlaubt selbstverständlich – völlig unabhängig davon um welche medizinische Maßnahme es sich handelt – diese nicht mehr zu beginnen („Withhold“) bzw. eine laufende Behandlung wieder abzubrechen („Withdraw“), sofern es dafür kein realistisches Therapieziel und damit auch keine Indikation mehr gibt. Es ist im Rahmen einer Therapiezieländerung für den Sterbeprozess, der ja sehr unterschiedlich lange dauern kann, eine palliativmedizinische Versorgung zu gewährleisten (sog. „Comfort terminal care“), um Menschen am Ende ihres Lebens in guter ärztlicher/pflegerischer Versorgung mit einer bestmöglichen Symptomkontrolle ein „Sterben in Würde“ zu ermöglichen (d.h. ein Sterben ohne Angst, Stress, Schmerzen, Atemnot und nicht alleine).

Gleichermaßen verhält es sich auch, wenn eine klar ersichtliche Willensäußerung einer Patient*in vorliegt, in der bestimmte medizinische Handlungen abgelehnt werden (z.B. verbindliche, aber auch nicht-verbindliche Patient*innenverfügung, oder vor Zeugen mündlich/durch Gestik geäußerter Patient*innenwille).  In diesem Fall darf eine technisch mögliche Behandlung nicht begonnen bzw. darf und muss eine begonnene Behandlung beendet werden, selbst wenn es ein sinnvolles Therapieziel und damit eine Indikation für medizinisches Handeln gäbe (in der Ethik sprechen wir hier vom „Recht auf Unvernunft“).

In dem im Artikel besprochenen Fall hätte man also selbstverständlich nach Beibringung der Patient*innenverfügung bzw. nach dem Gespräch mit einer Person, die nach dem neuen Erwachsenenschutzgesetz als Stellvertreter*in für die Patient*in eingesetzt ist und deren mutmaßlichen Willen klar kommuniziert (in diesem Fall, dass gewisse medizinische Behandlungen nicht gewünscht sind), die Behandlung abbrechen und die Patient*in im Rahmen einer „Comfort Terminal Care“ unter guter palliativmedizinischer Begleitung versterben lassen dürfen und müssen. Das hat NICHTS mit Mord zu tun. Bei einer Therapiezieländerung ist die Absicht dem Willen der Patient*in entsprechend ein Sterben in Würde möglich zu machen, Sterben zuzulassen (entweder durch den nicht-Beginn oder die Beendigung einer laufenden, nicht gewünschten/nicht indizierten medizinischen Maßnahme).  Obwohl die Patient*in im Rahmen einer Therapiezieländerung verstirbt, hat das nichts mit Mord zu tun, da einem Mord die Absicht der aktiven Herbeiführung des Todes zugrunde liegt, was nichts mit der medizinisch, ethisch und rechtlich gebotenen Durchführung einer Therapiezieländerung mit Todesfolge zu tun hat.

Zusammenfassend würden wir uns als behandelnde Ärzt*innen sehr wünschen, dass Menschen von ihrem Recht auf Autonomie mehr Gebrauch machen und rechtzeitig Vorsorge treffen würden für den Fall, dass sie nicht mehr für sich selbst sprechen können (wie bei jedem schwereren Notfall !), indem sie Ihre Wünsche und Wertvorstellungen im Rahmen einer Patient*innenverfügung (sei sie verbindlich oder nicht) definieren und eine Vertrauensperson benennen (am besten eine/n Vorsorgebevollmächtigte/n), mit der die behandelnden Ärzt*innen mögliche Behandlungsoptionen besprechen können um dann dem mutmaßlichen oder geäußerten Willen entsprechend besser im Sinne der Patient*innen entscheiden zu können. In diesem Sinne wäre für uns ein einheitliches Register, in dem Patient*innenverfügungen unkompliziert nachgesehen werden könnten, eine große Entlastung und Entscheidungshilfe. Dennoch wird im lebensbedrohlichen Notfall, unter Informationsmangel, Zeitdruck und/oder bei Unklarheit über Indikation und Therapieziel von Ärzt*innen und Sanitäter*innen zuerst nach dem Leitspruch ‚in dubio pro vita‘ (im Zweifel für das Leben) entschieden werden.  Es ist aber hoffentlich in diesem Kommentar klar geworden, dass bei fehlender Indikation/Therapieziel oder bei Ablehnung einer Behandlung durch Patient*in jederzeit eine Behandlung nicht begonnen bzw. wieder abgebrochen werden darf und muss und das NICHTS mit MORD zu tun hat!

Univ.-Prof. Dr. med. Barbara Friesenecker, Anästhesistin, Intensivmedizinerin, Palliativmedizinerin, Vorsitzende der ARGE Ethik der ÖGARI (österreichische Gesellschaft für Anästhesie, Reanimation und Intensivmedizin)

Univ-Prof. Dr. med. Walter Hasibeder, Anästhesist, Intensivmediziner, amtierender Präsident der ÖGARI und Mitglied der ARGE Ethik der ÖGARI

OÄ Dr. med. Astrid Steinwendtner-Kolator, Anästhesistin, Intensivmedizinerin, Palliativmedizinerin, Leiterin des Qualitäts-, Risiko-, und Ethikmanagements der SALK, Mitglied der ARGE Ethik der ÖGARI