Prof. Dr. Walter Hasibeder

BAKTERIELLE INFEKTIONEN UND DAS RISIKO FÜR DEMENZERKRANKUNGEN ODER ZEREBRALE DYSFUNKTION: EIN SYSTEMATISCHER REVIEW

In diesem systematischen Review wurden insgesamt 9 von 3488, nach Qualitätskriterien voruntersuchten, Studien inkludiert. 

Inkludiert wurden longitudinale Studien (prospektiv und retrospektiv); sekundäre Analysen randomisierter prospektiver Studien und Fall-kontrollierte Untersuchungen.

Patient*innen mussten > 18 Jahre sein und eine symptomatische bakterielle Infektion überstanden haben. Der Beginn der neurologischen Veränderungen durfte frühestens 3 Monate nach überstandener Infektion auftreten.

Nach folgenden Infektionskrankheiten wurden gesucht: Sepsis, Pneumonie, Weichteilinfektionen und Infektionen des Harntraktes

Outcome Parameter: Inzidenz von neuen Demenzerkrankungen (7 Studien); prolongierte zerebrale Dysfunktion nach Infektionen (2 Studien)

Das mittlere Alter der Teilnehmer*innen lag zwischen 65,5 und 78,6 Jahren und der Beobachtungszeitraum variierte zwischen 3 Monaten bis 9,8 Jahre. Sieben Studien untersuchten das Neuauftreten von Demenzerkrankungen nach bakteriellen Infektionserkrankungen. In all diesen Studien war das Risiko für Demenzerkrankungen nach einer Infektion signifikant erhöht (OR zwischen 1,1 und 2,6). Allerdings wurde in den 2 Studien, welche sich mit kognitiver Dysfunktion nach Infektion beschäftigten, kein eindeutiger Zusammenhang gefunden. 

FAZIT: Aufgrund der Heterogenität im Studiendesign konnte keine Metaanalyse der Daten durchgeführt werden. Allerdings besteht aufgrund der Größe der Studien mit vielen tausenden Teilnehmer*innen und der Tatsache, dass allen Untersuchungen einen signifikanten Zusammenhang zwischen bakteriellen Infektionen (Sepsis; Pneumonie; Urogenitaltrakt- und Weichteilinfektionen) und neu auftretenden Demenzerkrankungen zeigen der begründete Verdacht auf einen kausalen Zusammenhang! Derzeit wird viel zu den Mechanismen kognitiver Veränderungen nach Infektionen geforscht. 

Systemische Inflammation führt auch zu Neuroinflammation. Proinflammatorische Zytokine passieren die, durch Infektion geschädigte Bluthirnschranke und aktivieren unter anderem Mikrogliazellen. Mikrogliazellen als Immuneffektorzellen des Gehirns können zytotoxische Eigenschaften entwickeln, Zytokine und andere Entzündungsmediatoren bilden und ausschütten. In Tiermodellen wurde, ähnlich wie bei einer Alzheimererkrankung, eine Neubildung und Ansammlung von ß-Amyloid im Bereich von Synapsen beobachtet. 

Es könnte aber auch einen nicht kausalen Zusammenhang zwischen Infektion und Demenzerkrankungen durch gleichzeitiges Auftreten mehrerer altersbedingter Pathologien geben. Altersbedingte Immundefizite und chronische inflammatorische Erkrankungen wirken sich systemisch und damit auch im Gehirn aus. Zusätzliche schwere Infektionserkrankungen wirken dann als Beschleuniger des zerebralen Abbaus. 

In jedem Fall handelt es sich um ein extrem spannendes Forschungsgebiet mit dem wir uns in unseren Literatur Updates noch häufig beschäftigen werden. 

Literatur: 

Lei S, Li X, et al. Risk of dementia or cognitive impairment in sepsis survivals: a systematic reviwe and meta-analysis. Frontiers in Aging Neuroscience 2022; doi: 10.3389/fnagi.2022.839472

MASERN – BRANDGEFÄHRLICH UND EINFACH ZU VERHINDERN

Obwohl es eine sichere und extrem wirksame Masernimpfung gibt, nimmt die Anzahl Nicht-geimpfter Kinder stetig zu. In Österreich alleine verzeichnen wir derzeit um die 300 Masernfälle (AGES Daten 2024) Die Masernerkrankung ist auch heute noch eine lebensbedrohliche Infektionserkrankung mit möglichen schweren Langzeitfolgen. 

Vor der Impfung, die in den 1960iger Jahren erstmals verfügbar wurde, gab es weltweit jährliche Masernausbrüche. Innerhalb betroffener Familienverbände wurden über 95% immunologisch naiver Mitglieder, in kurzer Zeit angesteckt, und erkrankten.  Dies zeigt die extrem hohe Attackrate (R-Wert) des Virus. Im 15 ten Jahrhundert brachten Siedler das Virus nach Amerika, wo das Virus ein Massensterben bei der einheimischen Bevölkerung auslöste. Eine Masernerkrankung oder die Impfung gegen das Virus, hinterlässt eine lebenslange Immunität.

An eine Masernerkrankung sollte beim Vorhandensein der Symptome Husten, Konjunktivitis und Schnupfen gedacht werden. Manchmal findet man frühzeitig einen bläulich-weißen Ausschlag an Schleimhäuten, charakteristischerweise innerhalb der Mundhöhle („Koplik Spots“). Der typische Masernausschlag an der Haut folgt oft Tage später und beginnt meist am Kopf von wo er sich nach unten über den Körperstamm und die Extremitäten ausdehnt. Die Erkrankung ist fast immer von schweren Erkrankungsgefühl und allgemeiner Schwäche begleitet. Besonders schwere Verläufe werden bei nicht-immunen Schwangeren, bei immunsupprimierten Patient*innen und Menschen mit einem Vitamin A Defizit beobachtet.

Die Inkubationszeit von Masern beträgt etwa 8-12 Tage. Betroffene sind zirka 4 Tage vor bis 4 Tage nach Ausbruch der Erkrankung hochinfektiös. Bei schlechtem Immunstatus kann die Ansteckungsgefahr deutlich verlängert sein.

Komplikationen beobachtet man besonders bei jungen Kindern (<5 Jahre), ungeimpften Schwangeren und immunsupprimierten Patient*innen. Typische Komplikationen sind Mittelohrentzündungen, eine schwere Laryngotracheobronchitis, welche wie ein „Pseudokrupp“ imponieren kann, eine virale Pneumonie und schwere oft langandauernde Durchfälle, die besonders bei Kleinkindern die Entwicklung negativ beeinflussen können. Todesfälle gehen vor allem auf Pneumonien, sekundäre bakterielle Infektionen und postvirale Enzephalopathien zurück. Mit einer Masernencephalitis ist statistisch bei einem Promille der manifest Erkrankten zu rechnen. Die subakute sklerosierende Panenzephalitis kann 7-10 Jahre nach erfolgter Maserninfektion auftreten und beginnt mit Myoklonien, Körpersteifheit und progredienter Demenz. Die Erkrankung führt innerhalb von 3 Jahren zum Tod. Bemerkenswert ist eine mehrere Wochen bis Monate persistierender Immundefekt nach Masernerkrankung, der sekundäre Infektionen begünstigt. Tuberkuloseerkrankungen können reaktiviert werden und Tuberkulosefälle können besonders schwer verlaufen.   

Therapie: Vitamin A sollte allen Kindern mit Masernneuerkrankungen gegeben werden um Erblindungen und Todesfälle abzuwenden. Vitamin A sollte in Einzeldosen über 2 Tage wie folgt verabreicht werden:

Kinder 12 Monate oder älter200.000 IU Vitamin A an 2 Tagen
Kinder 6-11 Monate100.000 IU an 2 Tagen
Kinder < 6 Monaten50.000 IU an 2 Tagen

Eine weitere Dosis kann 4-6 Wochen nach der akuten Erkrankung bei weiterbestehen eines Vitamin A Mangels verabreicht werden.

Masern ist eine meldepflichtige Erkrankung. Um weitere Ansteckungen zu vermeiden sollten ungeimpfte Kontaktpersonen so rasch wie möglich geimpft werden beziehungsweise gefährdete Personen Immunglobuline erhalten.

Derzeit gelten folgende Empfehlungen:

Alle ungeimpften, immunologisch naiven Personen1 Dosis Masern, Mumps, Röteln Vakzine (MMR)
Ungeimpfte SchwangereWährend der Schwangerschaft keine MMR Impfung!Nach der Entbindung sollte eine MMR Impfung rasch nachgeholt werden
HIV positive Personen mit einer CD4 Zellzahl > 200/µl2 Dosen MMR Vakzine im Abstand von 4 Wochen. Bei CD4 Zellzahlen < 200/µl ist MMR kontraindiziert 
Schwere Immunsuppression ohne Impfung in der VergangenheitMMR Impfung kontraindiziert! Immunglobulintherapie ist bis zu 6 Tagen nach Virusexposition wirksam. Immunglobulin sollte in einer Dosis von 0,5ml/kg bis maximal 15ml intramuskulär verabreicht werden. Exponierte, nicht geimpfte Schwangere sollten Immunglobuline iv erhalten. Kinder und Erwachsene nach KM Transplantation können ebenfalls nicht sofort geimpft werden und sollen Immunglobulin, nach Exposition mit Masernerkrankten erhalten 

Literatur: 

Porter A, Goldfarb J. Measles: A dangerous vaccine-preventable disease returns. Cliveland Clinic J of Med 2019; 86: 393-398

POST-INTENSIV CARE SYNDROME (PICS): EIN UPDATE

Immer mehr häufen sich die Berichte über persistierende zum Teil schwere Krankheitssymptome nach Intensivaufenthalt wegen lebensbedrohlicher Erkrankungen oder nach großen chirurgischen Eingriffen. Diese persistierenden Beschwerden werden neuerdings unter dem Begriff PICS zusammengefasst und umfassen Verschlechterungen oder neu aufgetretene physische, psychische, kognitive oder mentale Probleme, die sich während des Intensivaufenthalts entwickelt haben und über den Hospitalsaufenthalt hinaus persistieren. 

In einer Studie aus den Niederlanden wurde bei 2345 Überlebenden eines Intensivstationsaufenthaltes der Gesundheitszustand vor dem Intensivaufenthalt mittels Fragebögen evaluiert. Bei Patient*innen die aufgrund lebensbedrohlicher medizinischer oder akuter chirurgischer Erkrankungen aufgenommen wurden erfolgte dies über die nächsten Angehörigen. Patient*innen vor großen, elektiven chirurgischen Eingriffen bewerteten ihren präoperativen Gesundheitszustand selbst. Nach Intensivaufenthalt litten 58% der medizinischen, 64% der notfall-chirurgischen, 43% der elektiv-chirurgischen Patient*innen an neu aufgetretenen physischen, kognitiven oder mentalen Problemen. Die Häufigkeit von Gebrechlichkeit, Muskelschwäche, Angst, Depression und kognitiver Dysfunktionen traten öfter nach Notfall-chirurgischen Eingriffen vergleichen mit Elektivchirurgie auf. 

In einer prospektiven Untersuchung über das Outcome von Patient*innen nach ARDS im Rahmen der ALTOS Studie, die derzeit an 41 Krankenhäusern in den USA durchgeführt wird, werden Patient*innen physisch, psychisch und mental nach 6 und 12 Monaten re-evaluiert. Anhand der persistierenden Symptome können die Patient*innen in 4 Subtypen unterteilt werden:

  1. Geringe physische und mentale Einschränkungen (22%)
  2. Moderate physische und mentale Einschränkungen (39%)
  3. Schwere physische aber nur moderate mentale Einschränkungen (15%)
  4. Schwere physische und mentale Einschränkungen (24%)

Interessanterweise waren das Auftreten spezifischer Subtypen in der ALTOS Studie nicht mit Scores der Erkrankungsschwere oder definierten Intensivstationsvariablen assoziiert.

Im Folgenden werden einige der PICS assoziierten Symptome näher besprochen:

Die auf der Intensivstation sich entwickelnde Muskelschwäche („ICU-aquired weakness; ICU-AW“) wird als, im Rahmen einer kritischen Erkrankung erworbene, symmetrische Muskelschwäche definiert. Klassifiziert wird sie in:

  1. Eine „critical illness“ Polyneuropathie (CIP)
  2. Eine “critical illness” Myopathie (CIM)
  3. Eine “critical illness” Neuromyopathie (CINM)
  4. Muskeldekonditionierung

Die Inzidenz der ICU-AW wird mit etwa 40% angegeben. Die Pathophysiologie ist multifaktoriell: Ischämie der Muskulatur, mikrovaskuläre Störungen in der Blutversorgung innervierender Nerven, Mitochondriendefekte, Störungen der Funktion schneller Natriumkanäle und Muskelinaktivität tragen zur Entwicklung bei. Zu den Risikofakturen der ICU-AW gehören: Weibliches Geschlecht, Infektion, SIRS, Multiorganversagen, Katabolie, lange Beatmungszeiten, Immobilität, Hyper- und Hypoglykämien sowie die wiederholte Gabe von Muskelrelaxantien. Die Quadriplegie nach Intensivaufenthalt bessert sich meist über Wochen bis Monate. In seltenen Fällen sind motorische Defizite noch nach 1 Jahr nachweisbar oder persistieren. Als präventive Maßnahmen gelten frühe Mobilisation, adäquate Kalorienzufuhr und Blutzuckerkontrolle.

Störungen kognitiver Funktionen können nach Intensivaufenthalt Monate bis Jahre persistieren und resultieren in einer deutlich eingeschränkten Lebensqualität. Zu den kognitiven Dysfunktionen zählen Konzentrations-, Sprach-, Gedächtnisstörungen und Defizite in der Feinmotorik. Als mögliche Risikofaktoren werden Hypo-, Hyperglykämien, das Delir, bereits vorbestehende, subklinische neurologische Schäden und ganz allgemein schwere Stresserlebnisse auf der Intensivstation genannt.

Die Entwicklung eines dementiellen Syndroms ist die schwerste neurologische Spätfolge eines Intensivaufenthaltes. In einer Studie an 10.000 Patient*innen war das Risiko einer neuen Demenzerkrankung innerhalb der ersten 3 Jahre nach Intensivaufenthalt um 3% höher verglichen mit einer gut-gematschten Vergleichspopulation.

Auch neu auftretende Depressionen, Angststörungen bis hin zum posttraumatischen Stresssyndrom (PTSD) werden nach Intensivaufenthalten vermehrt berichtet. Die Inzidenz von Depressionen wird mit 30%, Angststörungen mit bis zu 70% und PTSD mit Inzidenzen zwischen 10 und 50% angegeben. Sowohl frühzeitige Mobilisierung, adäquate Schmerztherapie, als auch das Führen von Intensivtagebüchern durch Pflegepersonen und Angehörige, soll Symptome bei Intensivstationsüberlebenden vermindern. 

FAZIT: Viele Faktoren zur Entstehung von PICS sind nach wie vor unklar. Die Schwere der systemischen Inflammation, repetitive Komplikationen wie z.B. Zweitinfektionen oder Kreislaufinstabilität, prolongierte Immobilisation, ungenügendes Schmerzmanagement, inadäquate Sedierungstiefe, Umgebungslärm, ungenügende oder überschießende Kalorienzufuhr, inadäquates Blutzuckermanagement spielen, in wechselnder Ausprägung, bei der Entstehung von PICS eine wichtige Rolle. Ich möchte wetten, dass die empathische und häufige Kommunikation mit den Patienten*innen in allen Bewusstseins Stadien, sowie der Besuch von Angehörigen eine wichtige Rolle bei der Prävention vor allem mentaler Probleme des PICS spielt. Allerdings gehören Angehörige vor dem Umgang mit schwer Erkrankten genau instruiert. Das bloße Herumstehen mit kritischen Gesicht und das Gestarre auf den Patient*innenmonitor, sowie die Vermeidung jeglichen körperlichen Kontakts mit dem Patienten/der Patientin, verunsichert und verstärkt die Angst der Patient*innen und wirkt negativ auf den Rekonvaleszent Prozess. Gelegentlich kann es notwendig sein, Angehörigenkontakte sogar zu reduzieren.      

Literatur:

  1. Hisler S, Fatima A, et al. Post-intensive care syndrome (PICS). Recent updates. J Intensive Care 2023; doi: 10.1186/s40560-023-00670-7
  • Inoue S, Hatekeyama J, et al. Post-intensive care syndrome: its pathophysiology, prevention, and future directions. Acute Med & Surgery2019; 6: 233-246

HYPOTHERMIEBEHANDLUNG BEIM “OUT-OF-HOSPITAL CARDIAC ARREST”

Zwei jüngst veröffentliche Untersuchungen die TTM2 und die HYPERION Studie konnten kein neurologisch verbesserter Outcome durch Hypothermie Behandlung (Zieltemperatur: 33°C) gegenüber Normothermie Behandlung (Zieltemperatur: 36,5-37,7°C) nach funktionellem Herzstillstand beweisen. Um die Rolle der Hypothermie Behandlung bei Patienten mit „Out-of-Hospital Cardiac Arrest“ (OHCA) mit nicht schockbarem Herzrhythmus besser herauszuarbeiten wurden individuelle OHCA Patient:innendaten beider Studien in einer Metaanalyse zusammengefasst und ausgewertet. 

Insgesamt wurden 912 Patient:innen mit nicht schockbarem Herzrhythmus und OHCA inkludiert. 442 wurden mit Hypothermie behandelt (MW Alter 65,5 Jahre) und 470 mit Normothermie (MW Alter 65,6 Jahre). Initial wurde bei 62,6% der Patient:innen eine Asystolie und bei 55,2% eine nicht kardiale Ursache des OHCA festgestellt. Nach 3 Monaten waren zirka 80% der Patient:innen verstorben. Bis zum Ende der Untersuchung waren 90% in beiden Gruppen entweder gestorben oder hatten ein schlechtes neurologisches Outcome. 

FAZIT: Sowohl die Mortalität als auch das funktionelle Überleben waren in der Hypothermie und in der Normothermiegruppe ident! Auch in Subgruppenanalysen (Alter, kardiale versus nicht kardiale Ursachen, PEA versus Asystolie) fanden sich keine Unterschiede im Überleben. Somit ist eine strikte Einhaltung von Normothermie bis zu 72 Stunden nach OHCA, wegen nicht schockbarem Herzkreislaufstillstandes in Bezug auf das Patient:innen Outcome einer Hypothermie Behandlung gleichzusetzten. 

Literatur:

Taccone FS et al. Hypothermie vs normothermie in patients with cardiac arrest and nonshockable rythm: A metaanalysis. JAMA Neurol 2024; doi: 10.100./jamaneurol.2023.4820

BENÖTIGEN WIR BEI VERDACHT AUF ASPIRATIONSPNEUMONIE EINE AUSGEDEHNTE ABDECKUNG ANAEROBER ERREGER?

Bis zu 15% der außerhalb des Krankenhauses erworbenen Pneumonien gehen auf Aspiration oropharyngealer oder gastrischer Sekretion zurück. Eine Therapie mit großzügiger Abdeckung von Anaerobiern durch Aminopenicilline/Beta-Lactamase Hemmern oder Moxifloxacillin oder Cephalosporine mit Metronidazol oder Clindamycin war lange der „Standard of Care“. 

In einer retrospektiven Analyse mit 4000 Patient:innen aus 18 kanadischen Krankenhäusern wurde eine 5-tägige Kombinationstherapie (KT) mit einer Monotherapie (MT) mit Ceftriaxon, Cefotaxim oder Levofloxacin verglichen.

Die Hospitalsmortalität war mit 30,3% (MT) und 32,1% (KT) nicht unterschiedlich. Ebenso fand sich kein signifikanter Unterschied in der 30 Tage Mortalität (29,1% versus 29,9%) und in der Rate der Wiederaufnahmen innerhalb von 30 Tagen nach Krankenhausentlassung (18,5% versus 18,3%). Allerdings war das Risiko für eine Closteroides difficile Colitis in der Gruppe der KT Patient:innen signifikant höher (0,8%-1,1%) als in der MT-Gruppe (<0,2%).

FAZIT: Die Studie kontrakariert frühere Guidelines zur Therapie von außerhalb des Krankenhauses erworbener Aspirationspneumonien. Offensichtlich genügt die Therapie mit einem Cephalosporin der 3. Generation oder einem Fluorchinolon und man vermindert damit signifikant das Risiko einer Closteroides difficile Colitis.

Literatur:

Bai AD et al. Anaerobic antibiotic coverage in aspiration pneumonia and the associated benefits and harms: a retrospective cohort study. Chest 2024; doi: 10.1016/j.chest.2024.02.025

CEFEPIME VS PIPERAZILLIN-TACOBACTAM IN HOSPITALISIERTEN PATIENT:INNEN MIT AKUTEN INFEKTIONEN: DIE ACORN RANDOMISIERTE, KLINISCHE STUDIE

Cefepime (CEF) und Piperazilin-Tazobactam (PIP-TAC) werden als Breitspektrumantibiotika gerne zur Initialtherapie schwerer akuter Infektionen eingesetzt. Der Anwendung von PIP-TAZ wird ein erhöhtes Risiko für renale Dysfunktionen nachgesagt; die Verwendung von CEF soll gehäuft mit neurologischen Störungen einhergehen.

In der Antibiotic Choice on Renal Outcome (ACORN) Studie wurde prospektiv, randomisiert das Sicherheitsprofil beider Antibiotika bei akuten Infektionen verglichen. Sowohl CEF als auch PIP-TAC wurden bei Patient:innen verabreicht, bei denen eine Abdeckung einer möglichen Pseudomonas Infektion erwünscht war. Die Antibiotikatherapie wurde in beiden Gruppen innerhalb von 12 h nach Krankenhausaufnahme begonnen.

Der primäre Outcome Parameter war das Auftreten renaler Dysfunktion oder Tod bis zum 14 Tag. Sekundäre Outcome Parameter waren die Zahl der Tage ohne Delir oder Koma innerhalb von 14 Tagen und die Überlebenszeit im Krankenhaus.

Insgesamt wurden 2511 Patient:innen rekrutiert. 77% erhielten zusätzlich Vancomycin. 

Die Inzidenz und Schwere von akuter renaler Dysfunktion und die Mortalität waren in der CEF und der PIP-TAC Gruppe ident. 7% der Patient:innen in der CEF Gruppe entwickelten eine akute renale Dysfunktion und 7,6% starben innerhalb von 2 Wochen. Bei PIP-TAC entwickelten 7,5% eine akute renale Dysfunktion und 6% der Patient:innen verstarben. Die Komplikation eines akuten Delirs oder eines Komas trat in der CEF Gruppe häufiger auf. 

FAZIT: Vor allem präklinische Studien haben unter Gabe von PIP-TAZ erhöhte S-Kr Spiegel, durch eine verminderte Kr-Sekretion im Tubulussystem berichtet. Ursächlich soll eine medikamentenbedingte Hemmung des organischen Anionen Transporters vom Typ I und III sein. In klinischen Studien wird das vermehrte Auftreten von Nierenschädigungen vor allem bei gleichzeitiger Verabreichung von PIP-TAC mit Vancomycin berichtet. Hier wurde sogar von der amerikanischen FDA ein Warnhinweis veröffentlicht. In der vorliegenden Studie wurden allerdings keine Hinweise für das gehäufte Auftreten renaler Schädigungen sowohl bei alleiniger Verabreichung von PIP-TAC als auch bei gleichzeitiger Gabe von Vancomycin gefunden. 

CEF kann die Bluthirnschranke gut überschreiten und hemmt Dosis-abhängig den Gamma-Aminobuttersäure Rezeptor. Diese Rezeptorhemmung geht mit erhöhter Neurotoxizität einher und klinische Fall- und Observationsstudien berichten über ein gehäuftes Auftreten von Koma, Delir und Krampfanfällen. In der vorliegenden Studie zeigten die mit CEF behandelten Patient:innen ein signifikant höheres Risiko für neurologische Komplikationen (Delir und Koma bis zu 2 Wochen nach Studienbeginn).

Die Studie zeigt das die Verwendung von PIP-TAC als Initialtherapie bei akuten Infektionen zu keiner Erhöhung von Nierendysfunktionen führt. Die Gabe von CEF erhöht das Risiko neurologischer Komplikationen.  

Literatur:

Qian ET et al. Cefepime vs Piperacillin-Tazobactam in adults hospitalized with acute infection. The ACORN randomized clinical trial. JAMA 2023; doi: 10.1001/jama.2023.20583