ÖGARI Präsident elect Univ.-Prof. Dr. Walter Hasibeder (Zams) hat für den ÖGARI-Blog ein weiteres Mal aktuelle Literatur zu COVID-19 ausgewählt und kommentiert – und berichtet auch über eigene therapeutische Erfahrungen mit COVID-19.

Wie wirksm ist der Nasen-Mund-Schutz?

Derzeit gibt es große öffentliche Diskussionen über die Sinnhaftigkeit des Tragens von chirurgischen Gesichtsmasken der Klasse FFP-1 im Rahmen der SARS-CoV-2 Pandemie. Mit diesem Problem beschäftige sich eine Untersuchung von Leung NHL et al (Nature Medicine 2020; DOI: 10.1038/s41591-020-0843-2). Bei Patientinnen und Patienten mit respiratorischen Erkältungskrankheiten wurde die Virusbelastung der Ausatemluft in größeren (>0,5µm Durchmesser) und kleineren Tröpfchen (<0,5µm Durchmesser = Aerosole) beim Husten mit und ohne chirurgischen Mundschutz getestet. 111 Personen litten an einer Erkältungskrankheit mit Coronaviren, 17 an Influenza- und 43 an Infektionen mit Rhinoviren. Die Virusbelastung der verschiedenen Proben (Nasenabstrich, Rachenabstrich, größere und kleinere Tröpfchen) wurde über die Zahl der gemessenen Viruskopien mittels PCR-Reaktion gemessen. Für Coronaviren konnte eine massive Abnahme der viralen Umweltbelastung, sowohl über größere Tröpfchen als auch über Aerosole, nachgewiesen werden. Bei Influenzaviren verhindern Gesichtsmasken die Virusverbreitung über größere Tröpfchen aber nicht über Aerosole. Für die Verbreitung von Rhinoviren konnte kein eindeutiger protektiver Effekt von chirurgischen Gesichtsmasken nachgewiesen werden. Im Angesicht der derzeitigen SARS-CoV-2 Pandemie erscheint es daher sinnvoll, sich im Kontakt mit anderen Personen, mit Gesichtsmasken vor Ansteckungen zu schützen. Erkrankte sollten in jedem Fall Gesichtsmasken der FFP-1 Klasse tragen.

Antivirale Therapie mit Remdesivir

Wen-Chien Ko et al. (Int J of Antimicrobial Agents 2020, DOI: 10.1016/j.ijantimicag.2020.105933) argumentieren für einen erfolgversprechenden Therapieansatz mit Remdesivir bei Patientinnen und Patienten mit schwerer COVID-19 Erkrankung. Das SARS-CoV-2 Virus gehört zur Familie der Coronaviren (Ordnung: Nidovirales). Man kennt derzeit mehrere Subgruppen des Virus (Alpha-; Beta; Gamma-; Delta Coronaviren) von denen die meisten, die Menschen befallen, nur milde respiratorische Symptome auslösen. Zu den Beta-Coronaviren gehören neben dem SARS und dem MERS Virus auch das zunächst in China neuaufgetretene SARS-CoV-2 Virus. Alle drei Coronaviren können schwerste Pneumonien, Multiorganversagen und den Tod beim Menschen auslösen. Das SARS-CoV und das neue SARS-CoV-2 Virus haben zu 82 Prozent eine idente RNA. Das bedeutet, dass das genetische Programm der beiden Viren in 18 Prozent der Gene Unterschiede aufweist.  Dieser Umstand trifft aber nicht auf den genetischen Code des Enzyms zu, das die Replikation des Virus vermittelt – die RNA-abhängige RNA-Polymerase (RaRP). Hier erreicht die Identität 96 Prozent!  Somit können antivirale Medikamente, deren Ansatz beim SARS-CoV die RaRP ist, auch beim SARS-CoV-2 Virus möglicherweise günstige Effekte in der Behandlung haben. Zu diesen Virostatika gehören Favipiravir, Ribavirin, Penciclovir, Remdesivir und andere.

Remdesivir wird im Zellstoffwechsel zu aktiven Nucleosidtriphosphat verstoffwechselt, interferiert mit Adenosintriphosphat an der RaRP und behindert damit die Replikation viraler RNA. Damit wird die Viruslast in der Wirtszelle deutlich vermindert. 2016 wurde gezeigt, dass Remdesivir die Replikation von Ebola-Viren in verschiedenen humanen Zellkulturen signifikant vermindert. Ähnliches konnte für das Marburg-Virus, Masern- und Mumps-Virus; RS- und Parainfluenza-Viren gezeigt werden. In humanen Epithelzellen aus Atemwegen hemmt Remdesivir effektiv die Vermehrung des SARS-CoV und anderer Coronaviren. Somit kann die Substanz, zumindest in Zellkulturen, als ein Breitspektrum-Virostatikum gegen Coronaviren bezeichnet werden. Ein praktisches Problem bei hochreplizierenden RNA-Viren wie dem SARS-CoV-2 Virus sind rasch auftretende Mutationen, die das Virus gegen bestimmte Virostatika unempfindlich machen können. Bisherige Tierversuche bestätigen Resistenzentwicklungen. Allerdings zeigen limitierte Daten, vor allem in Nagetieren, dass auch bei Infektionen mit teilresistenten Viren Remdesivir zu einer Verminderung der pulmonalen Viruslast führen kann. Ebola-Infektionen beim Affen können erfolgreich mit Remdesivir behandelt werden. In Nagetieren mit SARS-CoV-Infektionen vermindert Remdesivir bei frühzeitiger Gabe die Viruslast und verbessert die Lungenfunktion. Eine schottische Krankenschwester mit einer Ebola-Infektion konnte mit hochdosierter Kortikosteroid-Therapie und täglicher Gabe von Remdesivir (2 Tage je 150mg über 2 Stunden iv., dann 225mg für 12 Tage) erfolgreich geheilt werden. Allerdings zeigt eine randomisierte, kontrollierte Studie an 175 Patientinnen und Patienten mit Ebola leider keine signifikanten Outcome-Effekte. Die Mortalität war mit über 50 Prozent in beiden Gruppen (Remdesivir versus kein Virostatikum) etwa gleich hoch. Derzeit laufen 3 randomisierte, kontrollierte Studien mit Remdesivir bei an COVID-19 Erkrankten in China. Die Substanz soll in unterschiedlichen Erkrankungsstadien erprobt werden. Ich denke, es ist ganz wesentlich, den exakten Zeitpunkt einer sinnhaften Therapie mit Virostatika zu bestimmen. Wird die Behandlung erst in einem fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung begonnen, ist die Virusreplikation und Virusbelastung des Wirts wahrscheinlich nicht mehr das Hauptproblem – eine massive generalisierte Inflammation ist bereits voll im Gange und der eigentliche initiale Trigger spielt wahrscheinlich nur mehr eine untergeordnete Rolle.  

Miguel Angel Martinez (Antimicrob Agents Chemother 2020; DOI: 10.1128/AAC.00399-20) und Liying Dong et al (Drug Discoveries & Therapeutics 2020;14:58-60) beschreiben in zwei Review-Artikel die potentiellen Möglichkeiten einer spezifischen Behandlung des neu aufgetretenen SARS-CoV-2 Virus.

Im Unterschied zum SARS-CoV zeigt das neue SARS-CoV-2 Virus eine höhere Übertragungsrate von Mensch zu Mensch und scheint eine deutlich höhere Replikationsrate im befallenen Zellen des Respirationstrakts verglichen mit SARS-CoV oder MERS-CoV zu haben. Die Erkrankungsverläufe sind in den meisten Fällen aber deutlich milder als bei SARS (Mortalität 10 bis 14 Prozent) oder MERS (Mortalität 28bis 35 Prozent).  Entscheidend für die Übertragung vom Tier auf den Menschen dürften Mutations-bedingte Veränderungen im Bereich des „Spike“-Proteinrezeptors der Virushülle sein, die es dem SARS-CoV-2 Virus erlauben, am Angiotensin Converting Enzym II Rezeptor an Alveolarzellen und Epithelzellen des Respirationstraktes anzudocken. Das SARS-CoV-2 Virus hat aufgrund seiner hohen Replikationsrate auch ein hohes Potential für Spontanmutationen, die sowohl die Infektiosität als auch die Virulenz des Virus verändern könnten. Im günstigen Fall führen Mutationen zu einer verminderten Gefährlichkeit, bis hin zum kompletten Verschwinden eines Virus, da dieser die Fähigkeit eine Wirtszelle zu infizieren verliert (Dieser Umstand ist auch als „Mullers Ratsche“ bekannt: Einmal stattgefundene Mutationen lassen sich kaum rückgängig machen und ein Verlust bestimmter Eigenschaften ist meist irreversibel – ähnlich dem Feststellmechanismus einer Ratsche, die nur in eine Richtung gedreht werden kann).

Die Autoren beider Artikel halten die bereits besprochene Substanz Remdesivir für ein erfolgversprechendes Virostatikum zur Behandlung des SARS-CoV-2 Virus. Remdesivir ist ein Adenosin Nucleotide Analog mit breiter virostatischer Wirkung. Die prophylaktische Gabe bei Seidenäffchen, 24 Stunden vor einer Infektion mit dem MERS-CoV, schützt die Tiere vor der Entwicklung klinischer Symptome. In diesem Modell verhindert das Virostatikum effektiv die Replikation des Virus in der befallenen Wirtszelle. Einen ähnlichen positiven Effekt hat Remdesivir, wenn es bis zu 12 Stunden nach erfolgter Infektion verabreicht wird.

Therapie mit Lopinavir/Ritonavir

Lopinavir ist ein Proteasen Inhibitor des HIV-1 Virus. Die Substanz wird mit Ritonavir kombiniert, um die Halbwertszeit von Lopinavir in den Zellen des Immunsystems zu verlängern. Das Kombinationspräperat vermindert in Zellkulturen, welche mit dem MERS-CoV infiziert wurden erfolgreich die Virusreplikation. Bei MERS-CoV infizierten Seidenäffchen vermindert das Kombinationspräperat die klinische Symptomatik. Allerdings zeigt eine jüngst publizierte Untersuchung aus China bei an COVID-19 Erkrankten keine Effekte von Lopinavir/Ritonavir (L/R) auf die 28- Tage Mortalität (Cao B et al. NEJM DOI: 10.1056/NEJMoa2001282).

Da Coronaviren wie das SARS-CoV, MERS- und SARS-CoV-2 Virus eine massive systemische Inflammation (SIRS) auslösen können, wurde die Gabe von L/R mit der Gabe von Interferon beta kombiniert. Interferon beta gehört zur Familie der Zytokine und besitzt antiinflammatorische, antiproliferative und antivirale Eigenschaften. In Saudi-Arabien wird die Kombinationstherapie von L/R gemeinsam mit IFb derzeit in der „MIRACLE“ Studie bei Patienten mit MERS untersucht.

Die prophylaktische und therapeutische Behandlung mit L/R + IFb bzw. Remdesivir wurde in einem Mäusemodell einer MERS Infektion untersucht. Remdesivir verbesserte die Lungenfunktion und verminderte signifikant die Virusbelastung sowie die histopathologische Lungenschädigungen. Im Gegensatz dazu verminderte L/R + IFb nur leicht die Virusreplikation ohne andere Untersuchungsparameter signifikant zu verbessern.

Ribavirin

Ribavirin ist ein Guanosin-Analogon, das – ähnlich wie Remdesivir – die Virusreplikation an der RNA-abhängigen RNA-Polymerase hemmt. Ribavirin wurde zur Therapie von schweren Infektionen mit dem Respiratory Syncytial Virus, Hepatitis-C Virus und viralen Erkrankungen, die zu hämorrhagischen Fieber führen, verwendet. In Kombination mit Interferon alpha-2b gab es zunächst erfolgversprechende Daten bei mit MERS-CoV infizierten Tieren. Allerdings konnten bisher keine signifikant positiven Outcome-Effekte bei an MERS erkrankten Menschen nachgewiesen werden. Ribavirin wird in China teilweise in Kombination mit Interferon-alpha bei der Behandlung von COVID-19 Erkrankten eingesetzt. Dabei wird Interferon-alpha über einen Ultraschallvernebler direkt in die Lungen des Patienten eingebracht (5 Mio U IF-alpha; 2xtgl in 2ml steriles Wasser aufgelöst).  Eine schwere Nebenwirkung von Ribavirin kann eine signifikante Hemmung der Hämoglobinsynthese sein.

Arbidol

Arbidol ist ebenfalls ein Breitspektrum-Virostatikum, das unter anderem in der Behandlung der viralen Hepatitis eingesetzt wird. In vitro-Daten weisen auf einen signifikanten virostatischen Effekt auf das SARS-CoV Virus hin.

Favipavir

Favipavir ist ebenfalls ein RNA-abhängiger-RNA Polymerase Hemmer, der die Replikation von Influenza-, Flavi-, Filo-, Bunya-, Arena-, Noro- und weiterer RNA Viren hemmt. Favipavir wird in Wirtszellen in seine aktive Form phosphoryliert und von der viralen RNA Polymerase anschließend als „falsches“ Substrat gebunden. Die Bindung an die Polymerase hemmt ihre Funktion als Produzent weiterer Virus-RNA. In China wird zurzeit eine Studie mit Favipavir bei schweren COVID-19 Erkrankungen durchgeführt. Vorläufige Ergebnisse berichten über höhere Erfolgsraten verglichen mit L/R. Eine Publikation ist demnächst zu erwarten.

Blockierung des Toll-like Rezeptors 4

Eine neue interessante Therapieoption in der Behandlung von Viruserkrankungen ist die Unterdrückung der antiinflammatorischen Immunantwort auf die Infektion. Eine Möglichkeit ist die BTLR4) mit spezifischen Antikörpern. Der TLR4 gehört zur Familie der spezifischen Antigen Erkennungsproteine (Pattern Recognition Receptor). Die Aktivierung von TLR4 führt zur Aktivierung des intrazellulären nuklearen Faktors-kappa-B, der die genetischen Programme zur Bildung proinflammatorischer Zytokine anschaltet und damit eine massive, unkontrollierte Entzündungsreaktion auslösen kann. Transgene Mäuse, denen der TLR4 fehlt sind, als Beispiel, resistent gegen das Influenza A Virus und entwickeln keine Erkrankung. Ähnliches konnte im Tierexperiment mit Anti-TLR4 Antikörpern erreicht werden. Das Problem bei diesen noch sehr experimentellen Therapieformen ist, dass eine Therapie möglichst frühzeitig, möglicherweise sogar prophylaktisch, initiiert werden muss um die Entwicklung eines SIRS abzuwehren.    

Unterdrückung der SIRS

Eine ähnliche Strategie, nämlich die Unterdrückung des SIRS, verfolgt die Behandlung mit Immunsuppressiva wie z.B. mit hochdosierten Kortikosteroiden als Zusatzmedikation bei schweren viralen Pneumonien. Leider zeigt eine hochdosierte Steroidtherapie keinen eindeutig positiven Effekt auf den klinischen Verlauf schwerer Influenza- oder Coronavirus-Infektionen. Bei Influenza-Infektionen ist die Gabe hochdosierter Steroide, mit einem erhöhten Risiko für bakterielle Superinfektionen und mit einer zeitlich verlängerten Virusreplikation im Wirt vergesellschaftet.  Daten bei MERS-Infektionen am Menschen zeigen ebenfalls eine verzögerte Elimination viraler RNA. Dies war aber mit keiner Erhöhung der Mortalität vergesellschaftet.

Camostat-Mesylate

Wie schon erwähnt spielt das Spike Protein des SARS-CoV Virus eine wichtige Rolle beim Andocken des Virus an seinen Rezeptor im Wirt. Dabei ist eine Protease der Wirtszelle (TMPRSS2), die enzymatisch das virale Spikeprotein modifiziert, entscheidend für die Infektion. Diese Protease kann durch den Serin-Proteasen-Inhibitor Camostat-Mesylate erfolgreich gehemmt werden. Camostat-Mesylate wird unter dem Handelsnamen Foipan® unter anderem zur Therapie der chronischen Pankreatitis eingesetzt. Ein anderer experimenteller Serin-Proteasen-Inhibitor (K11777) verhindert in Zellkulturen das Eindringen und damit die Replikation von SARS-CoV und MERS-CoV in Wirtszellen.

Passive Immunisierung

Eine weitere, derzeit untersuchte Behandlungsoption ist die passive Immunisierung von schwer an COVID-19 Erkrankten, mit dem Serum von Menschen, welche die Erkrankung überlebt haben. Eine passive Immunisierung ist bei verschiedenen Viruserkrankungen erfolgreich durchgeführt worden. Polyklonale Antikörper gibt es gegen Infektionen mit dem Cytomegalie-, Hepatitis B und dem Varicella-Zoster Virus. Ein wesentliches Problem der passiven Immunisierung ist, dass die für einen Erfolg notwendige Konzentration an Antikörpern im Arzneimittel nicht bekannt ist.

Asymptomatische Personen als Hauptursache für rasche Virusverbreitung

Li Ruiyun et al (Science 2020; doi:10.1126/science.abb3221) zeigen in Simulationsmodellen die Bedeutung von oligo- und asymptomatischen mit SARS-CoV-2 infizierten Personen als Hauptursache für die rasche Ausbreitung des Virus in alle Provinzen Chinas und über die gesamte Welt hinaus. Die Autoren gehen in ihren Modellen davon aus, dass zirka 86 Prozent der infizierten Personen kaum oder keine Symptome entwickeln, aber das Virus durch persönliche Kontakte und Reisetätigkeit in kurzer Zeit verbreitet haben. Die Infektiosität von oligo- und asymtomatischen Patienten wird dabei mit 55 Prozent der Infektiosität symptomatisch Erkrankter angenommen. Diese oligo- und asymptomatischen Personen sind laut Modellberechnungen Ursache von etwa 79 Prozent aller Neuerkrankungen. Die Übertragungsrate der Infektion in China konnte durch die strikten Isolationsmaßnahmen in Kombination mit dem globalen Reiseverbot rasch vermindert werden (effektive Reproduktionszahl < 1). Die Simulations-Berechnungen bestätigen die Notwendigkeit und Wirksamkeit strikter Isolationsmaßnahmen und Reisebeschränkung als einziges Instrument zur Eindämmung der Pandemie. Derzeit zirkulieren bereits vier endemisch vorkommende Coronavirusstämme (229E, HKU1, NL63, OC43) weltweit in der Bevölkerung. Letztere verursachen in der Regel harmlose Erkältungskrankheiten. Es bleibt zu hoffen, dass das neue SARS-CoV-2 Virus nicht zum Fünften, endemischen Coronavirus wird.     

Effekte des SARS-CoV-2 Virus auf das kardiovaskuläre System

Zwei gerade erschienene Reviewartikel von Mdjiid M et. (JAMA Cardiol 2020; DOI: 10.1001/jamacardio.2020.1286) und von Driggin E et al. (JACC 2020; DOI: 10.1016/j.jacc.2020.03.031) beschäftigen sich mit den möglichen Effekten des SARS-CoV-2 Virus auf das kardiovaskuläre System. Gleich zu Beginn dieser Literaturbesprechung möchte ich darauf hinweisen, dass größere Untersuchungen zu diesem Thema derzeit noch fehlen. In den Artikeln werden Parallelen zu Herzbeteiligungen bei anderen viralen Erkrankungen gezogen. Zum Abschluss berichte ich über unsere Erfahrungen bezüglich der hämodynamischen Veränderungen bei älteren, vorerkrankten, beatmeten Patientinnen und Patienten.  

Coronaviren werden in 4 Subgruppen eingeteilt von denen Viren der alpha- und beta-Gruppe zu Erkrankungen beim Menschen führen.  Derzeit kennen wir 7 Typen von Coronaviren, von denen die Typen 229E, NL63, OC43 und HKU1 meist selbstlimitierende Erkältungskrankheiten beim Menschen verursachen. Man schätzt, dass ca. 15 bis 30 Prozent aller Erkältungen auf diese Viren zurückgeführt werden können. Schwere Erkrankungen lösen hingegen das SARS-CoV („Severe-Acute-Respiratory-Syndrome“ Corona Virus) das MERS-CoV („Middle-East-Respiratory-Syndrome“ Corona Virus”) und das neue, erst im Jänner 2020 charakterisierte, SARS-CoV-2 Virus aus.

Die Infektiosität der Viren, d.h. wie viele Menschen im Durchschnitt durch eine Virus-ausscheidende Person infiziert werden, wird in der Regel als „Basis Reproduktions Zahl“ (R0) wiedergegeben. Bei SARS-CoV-2 beträgt RO zirka 2,3 – das bedeutet, dass ein Erkrankter im Durchschnitt 2,3 weitere Menschen ansteckt.

Im Zusammenhang mit SARS-Erkrankungen wurden bei Patientinnen und Patienten mit bekannten kardiovaskulären Erkrankungen gehäuft das Auftreten von Myokardinfarkten und akuten Koronarsyndromen berichtet. Bei Menschen ohne Vorerkrankungen berichtet eine kleine Studie über transiente vorwiegend diastolische Pumpfunktionsstörungen, die bei Überlebenden innerhalb von 30 Tagen verschwanden. Eine andere Untersuchung bei Patientinnen und Patienten mit SARS und kardiovaskulären Vorerkrankungen berichtet über ein gehäuftes Auftreten von Tachykardie (72 Prozent), Hypotension (50 Prozent), Bradykardie (15 Prozent). Eine Fallstudie aus Singapore berichtet bei 8 Autopsien 4 Pulmonalembolien und 3 Fälle mit tiefen Beinvenenthrombosen im Zusammenhang mit SARS.

Bei MERS-Erkrankten gibt es kaum Untersuchungen zum kardiovaskulären System. Allerdings zählen zu den klinischen Risikofaktoren für Tod auch die KHK und Risikofaktoren, die für kardiovaskuläre Erkrankungen verantwortlich sind, wie z.B. eine arterielle Hypertonie, der Diabetes mellitus, chronische Nierenerkrankungen und Adipositas.

Auch bei der neuen Erkrankung COVID-19 steigt die Mortalität mit dem Alter und mit kardiovaskulären Vorerkrankungen an.  Der Alterseffekt auf den Outcomeparameter Mortalität hat dabei wahrscheinlich weniger mit der Prävalenz von Vorerkrankungen, als vielmehr mit altersbedingten Veränderungen des Immunsystems zu tun. Generell wissen wir, dass z.B. die Antikörperbildung nach Impfungen im Alter deutlich geringer als beim jungen Menschen ausfällt. Dies erklärt, warum in den neuen Impfempfehlungen die zeitlichen Impfabstände beim älteren Menschen für die meisten Erkrankungen kürzer gefasst sind als beim Jungen.    

Mehrere Studien zeigen Zusammenhänge zwischen vorbestehenden kardiovaskulären Erkrankungen und schweren COVID-19-Verläufen. In einer chinesischen Metaanlyse (6 Studien; n=1527) lag die Prävalenz von kardiovaskulären Erkrankungen bei an COVID-19 Erkrankten bei 17 Prozent. In einer anderen Untersuchung hatten 4,2 Prozent der inkludierten Patientinnen und Patienten eine bekannte koronare Herzkrankheit. Die Mortalität der COVID-19 Erkrankung bei diesen Personen betrug 22,7 Prozent, bei Patientinnen und Patienten mit arterieller Hypertension 6 Prozent, bei Menschen mit Diabetes 7,3 Prozent und bei Personen mit vorbestehenden chronischen respiratorischen Erkrankungen 6,3 Prozent. Bei Patientinnen und Patienten ohne Vorerkrankungen betrug die Mortalität 2,3 Prozent. In einer Studie mit 99 Patientinnen und Patienten (mittleres Alter 55 Jahre) waren 32 Prozent chronisch vorerkrankt. Die häufigsten Komplikationen in dieser Gruppe waren das ARDS (29 Prozent), sekundäre Infektionen (10 Prozent) und eine akute kardiale Schädigung gemessen als erhöhtes hs-Troponin (12 Prozent). Sporadische Autopsien bei an COVID-19 verstorbenen Menschen berichten über interstitielle Infiltrationen des Myokards mit mononuklearen Entzündungszellen im Sinne einer Myokarditis. Schwere Fälle systolischer Dysfunktion wurden im Zusammenhang mit COVID-19 Erkrankungen berichtet. Mittlerweile berichten mehrere Autoren aus China über erhöhte hsTropI-Werte bei 20 bis 25 Prozent aller Erkrankten. Hohe Troponin-Werte waren in diesen Berichten mit einer eindeutig erhöhten Mortalität assoziiert. An dieser Stelle sei erwähnt, dass kardiovaskuläre Vorerkrankungen in den Kollektiven aus China eher selten sind (<20 Prozent) und die Patientinnen und Patienten in der Regel deutlich jünger sind als z.B. jene in Italien oder auch bei uns. Zudem war eine Mehrheit der Personen aus den chinesischen Untersuchungen nicht Respirator-pflichtig, also weniger schwer erkrankt.

Es ist schwierig, aus der derzeitigen Datenlage valide Vergleiche mit den hämodynamischen Konsequenzen anderer Viruserkrankungen zu ziehen. Bei Influenzaerkrankungen kennen wir schwere, manchmal tödliche Herzmuskelentzündungen, das Auftreten von schweren Arrhythmien bis hin zum „elektrischen Sturm“ und wir kennen die Folgen der Influenzaerkrankung bei Patientinnen und Patienten mit vorbestehenden kardiovaskulären Erkrankungen. Bei Erkrankten mit KHK verdoppelt sich etwa das Herzinfarktrisiko nach einer stattgehabten Influenzainfektion. In den ersten 3 Tagen der Infektion erhöht sich das Risiko für einen MI sogar um den Faktor 5,8! Eine Schutzimpfung vermindert signifikant das Risiko eines Influenza-assoziierten Myokardinfarkts.        

Eigene Erfahrungen

Unser Patientengut unterscheidet sich deutlich von jenem der oben besprochenen Untersuchungen. Das Alter unsere Patientinnen und Patienten liegt derzeit zwischen 62 und 84 Jahren (Median = 71,5 Jahre). Alle Patienten waren vor der schweren COVID-19 Erkrankung leistungsfähig (ADL 18), litten aber an gut medikamentös eingestellten kardiovaskulären Vorerkrankungen. Wir beobachten bei allen Patientinnen und Patienten, von Anfang an, deutliche Anstiege im hsTropT auf Werte, die im postoperativen Setting sofort an MINDS denken lassen.  Drei Personen entwickelten im Rahmen der COVID-19 Erkrankung ein tachykardes Vorhofflimmern mit hämodynamischer Instabilität. Der überwiegende Teil der Erkrankten zeigte in den ersten Tagen nach Aufnahme rezidivierende Störungen der Mikrozirkulation (rezidivierendes Mottling an den Fußsohlen und gelegentlich Akren der Finger; verzögerte KFZ; deutliche Temperaturgradienten zwischen Körperstamm und Akren) bei gleichzeitigen Zeichen der Gerinnungsaktivierung (erhöhtes D-Dimer, milde bis moderate Thrombozytopenie). Alle Patientinnen und Patienten hatten von Beginn an deutliche Anstiege des Serumkreatinin. Bei den meisten fanden wir echokardiographische Hinweise auf eine verminderte vorwiegend linksventrikuläre Pumpfunktion; 3 Patienten zeigten diskrete Perikardergüsse.

Diese Befunde werten wir zusammen mit den von Anfang an erhöhten hsTrop T-Werten als klares Zeichen der Myokardbeteiligung im Sinne einer Myokarditis/sept. Myokardiopathie. Das zentrale Blutvolumen (V. Cava-Durchmesser und atemabhängige dynamische Schwankungen; kardialer Füllungszustand, GEDWI) ließen auf ein eher erhöhtes zentrales Volumen schließen. Alle Patientinnen und Patienten benötigten nach Intubation Vasopressoren (NA+AVP+Hydrocortison) und wir behandeln alle mit Inodilatatoren. Bei älteren, vorerkrankten Menschen äußert sich die fortgeschrittene COVID-19 Erkrankung als schwere Multisystemerkrankung. Aus den klinischen und laborchemischen Befunden dürften Mikrozikulationsstörungen in allen Organen (Lunge: Hypoxämie bei stark erhöhter Totraumventilation/ Niere: Akutes Nierenversagen/ Haut: verlängerte oder nicht messbare KFZ; rezidivierendes Mottling; wechselnder Temperaturgradient Stamm-Akren/ Herzkreislauf: Verminderte systolische Pumpfunktion, Inotropika- und Vasopressorpflichtigkeit) ein pathophysiologischer Trigger des beobachteten MODS sein. Die extreme Abgeschlagenheit bis zur Apathie mancher Patienten bei Aufnahme könnte ebenso als klinischer Ausdruck einer beginnenden Enzephalopathie, möglicherweise durch Störungen der Perfusion in kleinsten Gefäßen, gewertet werden.

Unser hämodynamisches Behandlungsziel ist ident dem, das wir beim septischen Schock über viele Jahre entwickelt haben. Die wesentlichen Elemente dabei sind:

  • Volumen: Bolusgaben in Form von Kolloiden bei V. a. intravasalen Volumenmangel
  • Inodilatatoren bei myokardialer Pumpfunktionsstörung
  • Vasopressoren: MAP > 60-65mmHg
  • Bei steigender NA-Dosierung (> 0,3µg/kg KG), Zugabe von AVP (80U – 100U/Tag) + Hydrocortison (200mg/Tag)  
  • ß-Blocker bei Sinustachykardie mit dem Ziel: Herzfrequenz < 95 Schläge/min (pS. oder kontinuierlich iv.)
  • bei tachykarden VHF: Kontinuierlich Amiodarone oft in Kombination mit oralen ß-Blockern bis zur pharmakologischen Kardioversion. Im Anschluss rasches Ausschleichen von Amiodaron; weitere Herzfrequenzkontrolle mit ß-Blocker
  • Temperaturkontrolle: Je vorerkrankter das Herzkreislaufsystem, desto mehr achten wir auf die Vermeidung von Fieber (T > 38,5°)
  • genaue tägliche Bilanzierung von Ein- und Ausfuhr anhand des klinischen Bildes und des Thorax-RX

Ziel der hämodynamischen Therapie sind peripher offene Patientinnen und Patienten mit normalisierter KFZ, einem MAP > 60-70mmHg und einer „normalen“ Herzfrequenz.

Das war der 3. Literatur-Update über Neues zum SARS-CoV-2 Virus. Ich hoffe, dass wir bald über Studien mit neuen Virostatika berichten können.

In der Zwischenzeit schützen Sie sich gut und bleiben Sie gesund!