Gute Vorbereitung, Individualmedizin statt Triagemedizin – Schwere und lang andauernde Erkrankungen auf den Intensivstationen

Die Österreichische Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) zieht eine Zwischenbilanz über die bisherigen  Erfahrungen mit der Schwere der Erkrankung, typischen Charakteristika von Erkrankten und die eingesetzten Therapien.

Wurden am 26. März noch 96 Betroffene auf Intensivstationen behandelt, lag diese Zahl am 5. April laut Daten des Gesundheitsministeriums bei 244. „Damit sind erwartbare Steigerungen eingetreten“, sagt Univ.-Prof. Dr. Klaus Markstaller, Präsident der ÖGARI (MedUni Wien/AKH Wien).

Individualisierte Intensivmedizin

Österreichs Krankenhäuser, insbesondere die Intensivstationen, hätten sich sehr umsichtig und professionell auf die Corona-Krise und zusätzliche Patientenströme vorbereitet. „Auch in der aktuellen Situation der vermehrten Belastung ist unser Credo, personenbezogene, individualisierte Intensivmedizin zu betreiben, wie wir das sonst auch tun. Das bedeutet in jedem Fall zu beraten, ob bzw. welche therapeutischen Maßnahmen unter den individuellen Voraussetzungen des einzelnen Patienten oder der einzelnen Patientin sinnvoll sind“, betont Prof. Markstaller. „Das ist uns im Gegensatz zu anderen Ländern wie Italien, Spanien oder Teilen Frankreichs noch möglich, weil das System zwar belastet, aber nicht überlastet ist. Insofern haben sich die Eindämmungsmaßnamen bewährt, weil bisher verzögert werden konnte, dass zu viele Menschen gleichzeitig an Covid-19 erkranken.“ Sei das nämlich der Fall, dann könne intensivmedizinisch keine Individualmedizin mehr betrieben werden, sondern nur mehr eine Triagemedizin: dass also nicht nach individuellem Bedarf behandelt wird, sondern angesichts zu knapper Ressourcen entschieden werden muss, wer überhaupt behandelt wird und wer nicht.  „Umso wichtiger ist es, weiterhin alles Notwendige zu tun, um eine mögliche Überforderung der Intensivkapazitäten auch weiterhin zu vermeiden,“ so der ÖGARI-Präsident.

Lange dauernde, schwere Erkrankungen – Risikofaktoren von Herzschwäche bis Adipositas

Bisherige Erfahrungen mit Covid-19-Patientinnen und -Patienten auf Österreichs Intensivstationen zeigen – bei allen regionalen Besonderheiten – einige gemeinsame Nenner und Trends. Einer davon zeige sich quer durch das Bundesgebiet, so Prof. Markstaller: „Patientinnen und Patienten mit Covid-19, die intensivpflichtig werden, weisen sehr schwere Krankheitsverläufe auf, sie werden überdurchschnittlich lange auf den Intensivstationen behandelt und müssen überdurchschnittlich lange beatmet werden. Das ist nicht nur für die Erkrankten sehr belastend, sondern stellt auch eine erhebliche Herausforderung für die Ressourcen dar.“

Eine weitere Beobachtung: Schwere SARS-CoV-2-Ekrankungen sind in aller Regel Multiorganerkrankungen mit zusätzlichen Beeinträchtigungen etwa des Herzmuskels, der Durchblutung, der Blutgerinnung und der Nierenfunktion.

„Während sich bei den bestätigten Erkrankungen insgesamt laut Daten des Gesundheitsministeriums das Geschlechterverhältnis die Waage hält (51 Prozent Männer vs. 49 Prozent Frauen), sind bei den intensivpflichten Patientinnen und Patienten bisherigen Beobachtungen zufolge mehr Männer betroffen“, so Prof. Markstaller. Entgegen verbreiteten Vorstellungen werden den Berichten aus einer Reihe von Bundesländern zufolge keineswegs nur Hochbetagte Covid-19-Patienten intensivmedizinisch betreut. Der Altersschnitt liegt in vielen Fällen bei rund 70 Jahren, es gibt aber auch jüngere Patientinnen und Patienten unter 50.

Prof. Markstaller: „Auch in einem anderen Punkt treffen sich die Beobachtungen aus unterschiedlichen Regionen: Typische Vorerkrankungen bzw. Risikofaktoren, die bei schweren Krankheitsverläufen zu sehen sind, umfassen Herzinsuffizienz, Koronare Herzkrankheit, Diabetes mellitus, Adipositas, COPD und Asthma. Ob es sich hier um einen kausalen oder statistischen Zusammenhang handelt, ist wie viele andere Aspekte der Erkrankung noch unklar.“

„Schwere Verläufe von Covid-19 sind mit keiner anderen Erkrankung vergleichbar, die wir sonst an den Intensivstationen behandeln, etwa bakteriellen Lungenentzündungen, abdomineller Sepsis oder Traumafolgen“, sagt der Präsident elect der ÖGARI, Univ.-Prof. Dr. Walter Hasibeder (Krankenhaus St. Vinzenz, Zams).

„Wir sehen, dass die Intensiv-Patientinnen und -Patienten mit Covid-19 über einen langen Zeitraum in einem schlechten Zustand sind“, bestätigt auch der Past Präsident der ÖGARI, Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar (Klinikum Klagenfurt am Wörthersee): „Der durchschnittliche Aufenthalt von Intensivpatientinnen und -patienten an unserer Klinik liegt bei 5,6 Tagen. Bei den SARS-CoV-2-positiven Personen ist die Aufenhaltsdauer viel länger, sie können in der Regel erst nach 14 Tagen extubiert werden.“ Eine Schwierigkeit, so Prof. Likar, sei auch die geringe wissenschaftliche Evidenz für Therapien, insbesondere für medikamentöse Verfahren.

Empfehlungen für die Intensivbehandlung verfügbar

Die ÖGARI hat gemeinsam mit zwei anderen Fachgesellschaften (ÖGIAIN und FASIM) Empfehlungen für die Behandlung von SARS-CoV-2-postiven Intensivpatienten veröffentlicht. Die Empfehlung behandelt zentrale Fragen des Patientenmanagements – von der Aufnahme auf der Intensivstation und den dabei erforderlichen Vorsichtsmaßnahmen über die empfohlenen Untersuchungen zu Beginn und im weiteren Verlauf der Behandlung, die erforderlichen Beatmungsmaßnahmen und das hämodynamische Management bis hin zur speziellen medikamentösen Therapie.