In diesem Beitrag geht es um eine in ihrer Bedeutung stark wachsenden Säule der Anästhesiologie – die Palliativmedizin. Diese beginnt da, wo eine Heilung der Erkrankung nicht mehr möglich ist. Um die Identifikation im Sinne einer strukturierten Analyse und die Beurteilung des Zustandes der Patienten zu erleichtern, hat die ARGE Palliativmedizin in der ÖGARI einen gut validierten, englischen Fragebogen ins Deutsche übersetzt.

Anfangs möchte ich gleich mit einem weit verbreiteten Vorurteil aufräumen: Auch wenn in einem palliativen Behandlungsregime versucht wird, Therapien mit unangenehmen Begleiterscheinungen zu vermeiden, heißt das nicht, dass wir uns entschließen, nichts zu tun. Sondern es geht darum, etwas anderes zu tun. In der Regel bedeutet das nicht weniger sondern, ganz im Gegenteil, mehr Aufwand zu betreiben. Nur eben nicht mehr mit dem Ziel, das Leiden zu heilen, sondern es den Betroffenen, so gut das geht, erträglich zu machen.

So kann es sinnvoll sein, dass wir einen 98jährigen mit massiver Verengung der Hauptschlagader nicht mehr operieren, weil das Risiko, dass er dabei verstirbt oder zum Pflegefall nach langer Intensivtherapie wird, viel zu hoch ist. Stattdessen wird man alles dafür tun, die aus der Verengung resultierende Atemnot mit anderen Therapien zu lindern und parallel dazu Unterstützung für die anderen Belange des Lebens zu organisieren.

Andererseits kann ein palliativer Zugang auch bedeuten, dass wir Maßnahmen setzen, die wir bei Nicht-Palliativ-Patienten so nicht durchführen würden. Hat beispielsweise ein Patient mit einem bösartigen Tumor mit Absiedelungen im Körper sowohl eine massiv eingeschränkte Lungenfunktion als auch Beschwerden durch einen Tumor im Bauch, so wird man den minimal-invasiven Eingriff zur Beseitigung des Passage-Hindernisses im Bauch durchführen, obwohl bei einem „normalen“ Patienten die schlechte Funktion der Lunge eine Operation im Bauchraum verbieten würde. Bei Palliativ-Patienten gelten aber oft andere Maßstäbe: Da wird man in Absprache mit unserem Patienten das erhöhte OP-Risiko eventuell in Kauf nehmen, um die massive Atemnot zu beseitigen und für mehr Lebensqualität in der verbleibenden Zeitspanne zu sorgen.

Den Patientenwillen am Ende des Lebensweges akzeptieren

In solchen Fällen ist Aufklärung und eine besonders intensive Kommunikation mit den Patienten besonders wichtig. Es muss ganz klar besprochen werden, welche Komplikationen auftreten können und wie damit umgegangen werden soll. Wenn ein Patient zwar noch eine letzte Operation in Kauf nimmt, weil er sich davon eine Verbesserung seiner Lebensqualität verspricht, im Fall des Falles aber keine weiteren Interventionen gesetzt wissen will, müssen wir das akzeptieren. Das fällt uns Ärztinnen und Ärzten nicht immer leicht, weil wir in einem von der Akutmedizin geprägten System sozialisiert wurden. Vor allem aber da, wo es ausreichende palliativmedizinische Angebote gibt, fällt es den Kolleginnen und Kollegen inzwischen leichter zu akzeptieren, dass auch die Medizin in bestimmten Fällen nicht immer eine Heilung herbeiführen kann. Wir sind da auf einem guten Weg, aber noch lange nicht am Ziel.

Intensiver Gesellschaftsdiskurs notwendig

Der beste Weg dorthin führt über einen intensiven gesellschaftlichen Diskurs.  Ein Fall aus Salzburg, der vor einiger Zeit durch die Medien ging, zeigt anschaulich, warum Ärzte immer noch oft das Gefühl haben, dass sie nur mit einer Fortsetzung von Maximaltherapien auf der sicheren Seite des Gesetzes agieren. Im angesprochenen Fall wurde bei einer 79jährige Frau, die kaum Chancen hatte, die Intensivstation lebend zu verlassen, das Ziel einer lebenserhaltenden Therapie aufgegeben und auf eine Komforttherapie umgelenkt. Statt sie an die Beatmungsmaschine zu hängen, wurden ihr – in Absprache mit einem Angehörigen – hohe Morphindosen zur Linderung der Schmerzen, Angstzustände und Atemnot verabreicht. Die Frau verstarb – und der Mediziner musste sich wegen „fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen” vor Gericht verantworten. Erst ein intensivmedizinisches Gutachten konnte ihn entlasten, was letztlich zu einem Freispruch geführt hat.

Initiative der ARGE Palliativmedizin für strukturierte Entscheidungshilfe

Auch wenn die gelegentlich spürbare Verunsicherung von Angehörigen bei diesem schwierigen Thema verständlich ist: In Österreich muss niemand Angst haben, dass die Entscheidung, von einer Maximaltherapie abzusehen, leichtfertig gefällt wird. In der Regel können die therapieführenden Abteilungen sehr genau abschätzen, wann das Repertoire an heilenden Ansätzen erschöpft ist.  Erfahrene Ärztinnen oder Ärzte erkennen Patienten mit palliativmedizinischen Bedürfnissen für gewöhnlich auf den ersten Blick. Doch das ist keine Entscheidung eines oder einer Einzelnen: Solche Therapiezieländerungen werden immer interdisziplinär, etwa in einem Tumorboard, von Palliativmedizinern, Onkologen und Schmerztherapeuten gemeinsam getroffen und mit den Patienten und deren Angehörigen intensiv besprochen.

Welche Vorgehensweise dabei letztlich gewählt und wo welche Grenzen gezogen werden, ist immer vom Einzelfall abhängig und erfordert einen sehr individuellen Zugang. Um die Identifikation im Sinne einer strukturierten Analyse und die Beurteilung des Zustandes der Patienten zu erleichtern, hat die ARGE Palliativmedizin einen gut validierten, englischen Fragebogen ins Deutsche übersetzt. Diese zusätzliche Entscheidungshilfe wird jetzt in einem Pilotversuch zunächst in zwei Krankenhäusern erprobt – dem Klinikum Klagenfurt am Wörthersee und das Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in St. Veit an der Glan.