Die Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) steht unter dem Motto „Anästhesiologie und Intensivmedizin im Spannungsfeld von Menschlichkeit und Ökonomie“. Kongresspräsidentin Univ.-Doz. Dr. Petra Innerhofer beschreibt die Themen im Detail.

Wo genau orten Sie das Spannungsfeld von Menschlichkeit und Ökonomie? Und wo kann es aufgelöst werden?

Der Stellenwert der Verwaltung und insbesondere des Controllings hat über die letzten zehn Jahre kontinuierlich zugenom- men. Das oberste Ziel ist klar: betriebswirtschaftlich ausgeglichene Bilanzen. Es gibt Krankenhäuser, in denen mehr Verwaltungspersonal angestellt ist als ärztliches Personal. Doch der Patient braucht letztlich immer einen Arzt und die ausgebildeten Pflegekräfte. Beim Gesundwerden oder Lindern von Krankheiten und Verletzungen hilft kein weiterer Masterplan, der von teuren externen Beratern erarbeitet wird, um die Auslastung immer weiter zu steigern.

Alleine wir in Innsbruck haben 40.000 Eingriffe pro Jahr, wo unsere Anästhesisten den häufig schwerkranken Patienten zur Seite stehen. Zeit für den direkten Kontakt mit dem Menschen gibt es immer weniger, dafür benötigen wir mehr Zeit für Besprechungen, Analysen und die Dokumentation. Und ganz nebenbei sollen wir Studenten und Jungmediziner bestens ausbilden – Zeit dafür gibt es keine. Die personelle Ausstattung war aus betriebswirtschaftlichen Gründen immer schon zu knapp bemessen, die nun geltenden Arbeitszeitbeschränkungen verschärfen die Situation weiter im Sinne einer Arbeitsverdichtung für den Einzelnen.

Bemerken das auch Patienten oder Angehörige?

Natürlich! Die Patienten warten immer häufiger ein bis zwei Tage, bis sie ihre Operation erhalten, sofern sie nicht akut ge- fa?hrdet sind, da wir schlicht nicht mehr Ärzte haben. Die OPs laufen bis spät in der Nacht und fünf- bis sechsmal im Monat 24-Stunden-Dienste zusätzlich zur normalen Arbeit bringen unser Team, besonders die Assistenzärzte, bis an den Rand der Belastbarkeit.

Welche ethischen Herausforderungen begleiten Sie im klinischen Alltag und wie gehen Sie damit um?

Die Entwicklungen in der operativen Medizin und Intensivmedizin ermöglichen die Durchführung komplexer Eingriffe, die auch bei polymorbiden Patienten zumindest technisch erfolgreich durchgeführt werden können. Doch wie sieht der postoperative Verlauf aus? Wie ist die Lebensqualität? Wo liegen die Grenzen? Wer soll das entscheiden? Ist weniger vielleicht mehr? All das sind Fragen, die das behandelnde Ärzteteam des jeweiligen Patienten zu beantworten hat. Dabei können Ethikboards sicherlich hilfreich sein, sofern diese rasch und unkompliziert kontaktiert werden können. Außerdem wären Schulungen zum Thema Ethik und eindeutige formulierte Patientenverfügungen für schwerkranke Patienten wichtig, um noch mehr im Sinne des jeweiligen Patienten handeln zu können.

Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen, vor denen Ihr Fach in den nächsten Jahren steht?

Für unser Fach gilt, dass wir unserem Nachwuchs wieder zeigen, wie vielfältig und patientennahe unsere Spezialisierung ist und auch, wie groß die dabei zu tragende Verantwortung. Dazu gehört es, die Begeisterung für unser Fach zu erhalten und zu stärken, die Forschung weiter voranzutreiben und, damit verbunden, auch die Ärzte wieder im Land zu halten. Der von der Politik forcierte Lösungsansatz, ein „Dr. Light“, der losgelöst von der wissenschaftlichen Tätigkeit nur praxisnahe in landeseigenen FHs ausgebildet wird und durch Vertrag gebunden mindestens fünf Jahre im Land verbleibt, ist für uns undenkbar, so funktioniert Medizin nicht, das wird den Ärztemangel nicht beheben. Doch generell müssen wir vor allem eines tun: den Patienten wieder in den Mittelpunkt rücken – alles andere ist unbefriedigend und wird wirklich teuer. Letzt- lich für jeden.