Bei Wissenschaftern permanent eintrudelnde Fake-Mails mit Angeboten für die Veröffentlichung von Studien und für Vorträge bei angeblich hochrangig besetzten Kongressen sind lästig. Im Endeffekt aber sind sie Symptom von Zwängen, denen sich Viele im Forschungsgetriebe ausgesetzt fühlen: Predatory Journals und dubiose Konferenzen – mit Finanzforderungen für Publikation oder Teilnahme.

„Seit 7.30 Uhr in der Früh habe heute schon acht solcher Mails bekommen. Mittlerweile lösche ich diese Nachrichten schon, ohne sie überhaupt angeschaut zu haben“, schilderte vor kurzem Univ.-Prof. Dr. Peter Marhofer, Leiter des Bereichs Kinderanästhesie & Kinderintensivmedizin an der Universitätsklinik für Anästhesie, Allgemeine Intensivmedizin und Schmerztherapie von MedUni Wien/AKH, die aktuelle Situation.

Betrug im (wissenschaftlichen) Verlagswesen hätte es immer schon gegeben. Betrug mit wissenschaftlichen Veröffentlichungen auch. Aber seit einigen Jahren schwappe über die Forschungslandschaft der Medizin eine ganze Woge dunkler Machenschaften hinweg. Sie wird größer und größer.

„Es hat langsam begonnen und wurde wohl am Beginn kaum bemerkt. Wirklich auffällig wurde das mit der Etablierung der ‚Open Access Journals‘, die – und das muss man auch betonen – längst nicht alle schlecht sind“, sagte Marhofer.

„Open Access“ – das verspricht die praktisch „sofortige“ Publikation wissenschaftlicher Studien, noch dazu in praktisch unbegrenzter Menge. „Bei den etablierten, seriösen wissenschaftlichen Journals sind die veröffentlichten Studien eine gewisse Zeit, meist ein halbes Jahr, nicht vollständig erhältlich. Die Verlage wollen ja auch von etwas leben – und das sind die Abonnements, zum Beispiel so wie wir an der MedUni Wien Zugang zu den meisten wichtigen wissenschaftlichen Publikationen erhalten“, sagte Marhofer.

„Open Access“-Journale wollen verschiedene Limitationen der traditionellen Journals überwinden. Der Wiener Kinderanästhesist, der selbst im Editorial Board einer der weltweit angesehensten Fachzeitschriften für Anästhesie & Intensivmedizin (British Journal of Anaesthesia – BJA; Anm.) sitzt und damit regelmäßig Peer Review-Aufgaben übernimmt: „Seriöse Fachzeitschriften werden heute von eingereichten Arbeiten überschwemmt. Sie lehnen 90 Prozent ab. Sie müssen das auch tun, weil sie in einer Ausgabe vielleicht zwölf oder 15 Originalarbeiten abdrucken können. Diese Mengenbegrenzung fällt bei Online-Publikationen naturgemäß weg. Wir hatten beim BJA bis diesen August übrigens bereits mehr als 1.000 Einreichungen.“

Klangvolle Namen ohne Peer Review

Publikationen ohne diese Beschränkungen im Umfang – speziell bei auch gedruckten Journals – müssen nicht mit Mankos behaftet sein, wenn der Peer Review-Prozess mit den höchsten Kriterien eingehalten wird. Doch auf der anderen Seite ist es auch vergleichsweise einfach, sich als Online-Publikationen einen klangvollen Namen von „International Journal of XXXX“ oder so zu geben und via Massenmails um Beiträge zu keilen. Das allerdings für Geld.

„Verlangt werden für eine Publikation zwischen 500 und 2.500 US-Dollar. Vor mir habe ich gerade ein Mail mit einem Angebot für 500 US-Dollar“, schilderte Dr. Marhofer.

Freilich, das Geld investieren Publikationswillige im Endeffekt in Veröffentlichungen in Fake-Journals, die keine Impact-Punkte bringen. – Im Grunde also vergebens und bloß zum Nutzen der Teilnehmer an dem System.

Publikationsdruck

Dahinter steckt ein wohl für alle Sparten der globalisierten Wissenschaft zunehmend prägendes Phänomen: der Publikationszwang. „Die Leute stehen unter einem enormen Druck. Wobei sich in China und vielen Teilen Asiens eine völlig neue Szenerie des Wissenschaftsbetriebes gebildet hat. Die machen sich dort ihr eigenes System. Und wenn man die Unterschiede bei den Anforderungen für eine Habilitierung allein schon in Europa mit jenen in anderen Weltregionen, zum Beispiel mit dem arabischen Raum, vergleicht, spricht das Bände“, betonte der Anästhesist und Intensivmediziner.

Wenn, ein, zwei Veröffentlichungen in einem besseren oder eher schlechteren Online-Journal reichen, die noch dazu auf der Basis von finanziellen Publikationsbeiträgen veröffentlicht worden sind, zieht das dubiose Geschäftemacherei an wie das Licht die Motten.

Hinzu kommen die „Einladungen“, Vorträge mit Forschungsbeiträgen bei verschiedensten „World Conferences“ zu halten – wiederum für saftige Gebühren (Kongressteilnahme), Reisespesen und Ähnliches. Auch ist nicht gesichert, um was es sich dabei überhaupt handelt.

In der Wissenschaftsszene werden die verschiedensten Gegenstrategien diskutiert. Eine Maßnahme sind Listen mit „Journals“ oder Kongressveranstaltern, die unter „Fake-Verdacht“ stehen. Es gibt auch die verschiedensten Ratschläge zur Bewertung der Mails.

Dr. Marhofer plädiert für schlichten Hausverstand: „Eine Studie reicht man als Wissenschaftler zur Veröffentlichung bei einem dafür geeigneten Journal ein. Seriöse Journals wenden sich einfach nicht an Wissenschaftler und fragen an, ob diese etwas zu veröffentlichen hätten.“

Das analoge Bewertungskriterium kann man auch gleich für die Kongressveranstalter bzw. die Scientific Boards der seriösen Kongresse anwenden: Wiederum ist es das aktive Einreichen von Studien zur Präsentation bei einem Kongress, welche den Start des Prozesses auslöst, der über die Begutachtung durch den Scientific Board zur Annahme als Poster, für eine oral Session oder zur Ablehnung führt.

Suchmaschinen für die Fake Mail-Adressaten

„Analog“ ist hier ein gutes Stichwort. Die Betreiber von Predatory Journals und Organisatoren von dubiosen Kongressen agieren natürlich nicht „analog“, sondern in einer globalisierten Welt über digitale Algorithmen und Suchmaschinen.

Freilich, die enorme Beschleunigung des Wissenschaftsgetriebes, Globalisierung und Publikationsdruck bringen mitunter auch sonst als seriös zu betrachtende Institutionen in Gefahr. Der Beweis: 2013 reichte der US-Wissenschaftsjournalist Joe Bohannon eine völlige gefälschte und vor Unsinn strotzende „Studienarbeit“ über eine angeblich gegen bösartige Zellen wirkende Substanz aus einer Flechtenart (alles erfunden) und mit einem ebenso erfundenen Autorennamen (Ocarrafoo Cobange vom Wassee Institute of Medicine) bei 304 Open Access-Journals mit Peer Review ein. Das „Paper“ wurde von 157 akzeptiert. Mit dabei waren auch Open Access-Publikationen namhafter internationaler Wissenschafts-Verlagshäuser …

„Das Problem liegt darin, dass Fake-Wissenschaft ja auch in die klinische Praxis einfließen kann. Da wird es dann echt gefährlich. Und wir sehen uns jetzt vermehrt Meta-Analysen an, die auch nicht immer nachvollziehbar sind“, sagte Dr. Marhofer.

S E R V I C E – weiterführende Informationen im Netz: https://beallslist.weebly.com

https://predatoryjournals.com/journals/

Uni Innsbruck mit einer Checkliste:

https://www.uibk.ac.at/ulb/services/predatorypublishing.html.de

https://www.ub.tum.de/aktuelles/predatory-journals

https://os.helmholtz.de/open-science-in-der-helmholtz-gemeinschaft/open-access-der-goldene-weg/faqs-zum-thema-predatory-publishing/

https://www.ub.ovgu.de/Publizieren+_+Open+Access/Open+Access/Predatory+Journals.html