Am 28. Februar wird der Tag der Seltenen Erkrankungen begangen. Eine für die Anästhesiologie wichtige “rare disease” ist die Maligne Hyperthermie. Die European Maglignant Hyperthermia Group (EMHG) hat kürzlich das etablierte Wissen zusammengetragen und in einem aufwendigen Meinungsbildungsprozess zusammengefasst.

Rund um den Tag der Seltenen Erkrankungen (28. Februar) gewinnt diese Publikation wohl besondere Bedeutung: Vor kurzem sind im Britisch Journal of Anaesthesia (126 (1): 120-130 (2021) die „Consensus guidelines on perioperative management of malignant hyperthermia suspected or susceptible patients from the European Malignant Hyperthermia Group“ erschienen. (1)

„Die Maligne Hyperthermie ist eine potenziell tödlich endende Komplikation, in der genetisch prädisponierte Patientinnen und Patienten eine hypermetabolische Reaktion auf volatile Anästhetika oder Succinylcholin entwickeln. Aus ethischen Gründen gibt es keine Evidenz aus randomisierten Studien zu einem optimalen perioperativen Management von Personen mit bekannter Anlage für eine Maligne Hyperthermie oder einem Verdacht darauf, die sich einer Operation unterziehen müssen”, heißt es am Beginn des Expertenstatements.

Was noch hinzukomme: „Weiters ist unbekannt, welche Konzentrationen an Resten von volatilen Anästhetika noch eine Maligne Hyperthermie auslösen können – die Gebrauchsanleitungen der Hersteller (von Anästhesie-Geräten, Anm.) differieren erheblich. Schließlich gibt es Unsicherheiten darüber, wie man die einzelnen Anästhesie-Maschinen und Geräte vorbereiten muss, um eine nicht erwünschte Exposition mit den Anästhetika von MH-prädisponierten Patienten zu verhindern. Diese aktuellen Leitlinien sollen das vorhandene Wissen (…) bündeln.“ Zur Vorbereitung der Anästhesiegeräte betreffe das auch zum Beispiel die Verwendung von Aktivkohle-Filtern etc.

„Die Guidelines sind in einem aufwendigen Meinungsbildungsprozess (modifizierter Delphi-Prozess) entstanden“, erklärt Univ.-Prof. Dr. Andrea Michalek-Sauberer von der Klinischen Abteilung für Spezielle Anästhesie und Schmerzmedizin (Leitung: Univ.-Prof. Dr. Hans-Georg Kress), Universitätsklinik für Anästhesie, Allgemeine Intensivmedizin und Schmerztherapie, Medizinische Universität Wien /AKH Wien. An der Abteilung, die seit 2019 auch das einzige durch die EMHG zertifizierte Zentrum Österreichs für die Diagnose dieser Störung ist, beschäftigt man sich seit Jahrzehnten mit dem Problem.

„Ich selbst arbeite seit etwa 2002/2003 auf diesem Gebiet. Prinzipiell sind wir die einzige österreichische Anlaufstellte für die Kollegen, was die Maligne Hyperthermie betrifft. Das gilt aber auch für die Familien von Betroffenen, die sich an uns um Rat wenden“, so Prof. Michalek-Sauberer.

Das Spektrum hat sich gewandelt. „Früher riefen mehr Kolleginnen und Kollegen sowie Betroffene nach aufgetretenen Hyperthermie-Krisen an oder kamen zu uns. Heute bekommen wir weniger Krisenmeldungen. Aber da die Prädisposition für die Maligne Hyperthermie autosomal dominant vererbt wird, haben wir es oft mit den Nachkommen von Betroffenen zu tun“, erklärt die Expertin. Im Fall des Falles sollten Eltern, Großeltern, Geschwister und Kinder untersucht werden.  

Seit der Standardisierung der aufwendigen Untersuchungstechnik nach dem Protokoll der EMHG im Jahr 1985 wurden in Wien an der Spezialambulanz der Abteilung weit mehr als 1.500 potenzielle MH-Anlageträgerinnen und -träger aus ganz Österreich untersucht, aber auch aus Ländern, in denen keine Austestung möglich ist, zum Beispiel Rumänien, Kroatien, Kuwait. Seit mehr als zehn Jahren werden außerdem auch molekulargenetische Untersuchungen angeboten. Prof. Michalek-Sauberer: „Wir führen pro Jahr derzeit rund 30 offene Muskel-Biopsien aus dem M. quadriceps des Oberschenkels für den Nachweis einer Prädisposition für eine Maligne Hypertherapie durch.“ Dabei werden die Kontraktionen von Muskelfaserbündeln in einem Organbad nach dosierter Zugabe von Halothan und Koffein gemessen (In-vitro-Kontrakturtest).

Generell zeigt sich laut der Expertin in der Diagnostik ein Trend zu den genetischen Untersuchungen. Aber die haben Limitierungen. „Mittlerweile gibt es schon rund 50 anerkannte kausative Genmutationen. Aber auch mit ihnen wird nur ein Teil der Risikopersonen erfasst“, sagt Prof. Michalek-Sauberer. So zum Beispiel finden sich die 15 häufigsten Mutationen bei etwa 30 Prozent der Betroffenen. Der Gold-Standard – Muskelbiopsie und Kontraktionsmessung – sind allerdings kompliziert und nur an wenigen Zentren durchführbar.

Zurück zu den neuen Guidelines: Wie die Autoren feststellen, geht es bei dem neuen Konsensus-Statement nicht um das Management einer akuten Krise durch eine Maligne Hyperthermie während oder nach einer Anästhesie, sondern um die notwendigen Maßnahmen für Patientinnen und Patienten mit bestätigter MH-Prädisposition oder Verdacht darauf.

Hier einige wichtige Punkte:

  • Präoperative Maßnahmen: An sich ist es immer ratsam, bei Patienten mit MH-Prädispositionsverdacht den wirklichen Status festzustellen. Auf der anderen Seite sollte bei entsprechender Indikation für eine baldige Operation, um beispielsweise das Fortschreiten einer Erkrankung zu verhindern, ein Eingriff nicht aufgeschoben werden, bis ein definitiver MH-Befund vorliegt.
  • Die präoperative Beurteilung durch den Anästhesisten sollte bei einem Verdacht immer auch Fragen nach bereits überstandenen MH-Episoden oder Zeichen einer Rhambdomyolyse umfassen.
  • Es gibt keinen Hinweis darauf, dass psychologischer Stress ein Trigger für MH ist. Deshalb ist es auch bei MH-Patienten nicht notwendig, eine intensivere anxiolytische Therapie vor einem Eingriff einzuleiten.
  • Regionalanästhetika (spinal, epidural oder via periphere Nervenblockade) oder Lokalanästhetika sind eine gute Wahl für Patienten mit einem MH-Risiko. Ist das nicht möglich, dürfen nur Trigger-freie Anästhetika verwendete werden. Das Vermeiden von volatilen Anästhetika und von Succinylcholin als Relaxans sind verpflichtend.
  • Wenn Trigger-freie Anästhetika verwendete werden, ist kein zusätzliches Monitoring bei Patienten mit potenziellem MH-Risiko notwendig.
  • Auch im Aufwachraum sind bei vorheriger Verwendung ausschließlich Trigger-freier volatiler Anästhetika keine über den normalen Standard für andere Patienten hinausgehende Maßnahmen notwendig.
  • Auch ambulante Eingriff können bei strikter Vermeidung volatiler Anästhetika ohne zusätzliche Vorkehrungen durchgeführt werden.

Eingehend widmet sich die Guideline auch der Vorbereitung der Anästhesie-Maschinen für potenzielle MH-Betroffene. Zumeist ist es ja nicht möglich, Geräte ohne vorherige Verwendung volatiler Anästhetika ausschließlich für Risikopersonen bereit zu halten.

  • Narkosegasverdampfer sollten entfernt werden. Sie stellen ein „signifikantes Reservoir“ für Restmengen an Trigger-belasteten Narkosemitteln dar.
  • Vor dem „Auswaschen“ der Maschine mit Luft oder Sauerstoff sollten potenziell kontaminierte Geräteteile (T-Circuit, Circle Circuit, Reservoir-Ballon) entfernt werden.
  • Das „Spülen“ sollte gemäß der vom Gerätehersteller angegebenen Zeitdauer erfolgen (moderne Geräte benötigen eher längeres „Durchspülen“). In der Leitlinie wird eine Durchflussrate (O2 oder Luft) >10 Liter/Minute bis zum Maximum der Flussrate des Gerätes empfohlen.
  • In jüngerer Vergangenheit wurde über zwischengeschaltete Aktivkohlefilter eine andere Möglichkeit geschaffen, um sicher und schnell eine Restbelastungen mit volatilen Anästhetika zu beseitigen. Damit lassen sich binnen zwei bis drei Minuten Konzentrationen <5ppm erreichen. Für Gebrauch und Installierung sind eigene Maßnahmen in den Guidelines enthalten.

Die Frage, welche Restbelastung an volatilen Anästhetika Patienten mit einer möglichen oder diagnostizierten MH-Prädisposition tolerieren können, ist experimentell am Menschen aus ethischen Gründen nicht zu klären. „Man geht davon aus, dass man bei weniger als 5ppm auf der sicheren Seite ist. Auf diesen Wert ist über tierexperimentelle Studien an Schweinen gekommen“, sagte Univ.-Prof. Dr. Andrea Michalek-Sauberer.

(1) Consensus guidelines on perioperative management of malignant hyperthermia suspected or susceptible patients from the European Malignant Hyperthermia Group Rüffertet al ,  Br J Anaesth 2021 Jan;126(1):120-130. doi: 10.1016/j.bja.2020.09.029. Epub 2020 Oct 31.https://www.emhg.org/recommendations-1