Wie sollen die zur Verfügung stehenden Ressourcen so verteilt werden, dass möglichst viele Patientinnen und Patienten mit Bedarf einen Nutzen haben? Das haben Fachgesellschaften in aller Welt angesichts hoher Belastungen für die Intensivressourcen in Empfehlungen und Leitlinien definiert. Nachdem sich nicht zuletzt durch die Möglichkeit einer Impfung gegen SARS-CoV-2 neue Aspekte in der Diskussion ergeben, haben deutsche Fachgesellschaften die im Frühjahr 2020 veröffentlichte „Leitlinie zur Priorisierung und Triage bei akuter Ressourcenknappheit“ aktualisiert. Die wichtigsten Punkte betreffen die Gleichbehandlung von geimpften und nicht geimpften Patientinnen und Patienten in der Gesundheitsversorgung sowie die Beachtung des Gleichheitsgebotes bei Erhöhung der Ressourcen zugunsten der Versorgung von Patientinnen und Patienten mit COVID-19.

Die Frustration über den Verzicht mancher Menschen auf eine wirksame Impfung sei zwar nicht zuletzt angesichts der massiven Belastungen für die im Gesundheitssystem Tätigen nachvollziehbar, so Prof. Uwe Janssens, ehemaliger Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung  für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) und Leiter der Arbeitsgruppe Ethik in der Fachgesellschaft. Allerdings haben die Fachgesellschaften in der aktualisierten Leitlinie klargestellt, dass eine fehlende Impfung kein legitimes Kriterium für Triage-Entscheidungen darstellen kann. „Die Hilfspflichten im Gesundheitswesen bestehen bei lebensbedrohlichen Erkrankungen unabhängig vom Auslöser beziehungsweise dem vorangehenden Verhalten des bedürftigen Patientinnen und Patienten“, fasst Prof. Janssens die Position der aktualisierten Leitlinie zusammen.

In den österreichischen Empfehlungen wurde eine diesbezügliche Aktualisierung noch nicht vorgenommen. Vertreterinnen und Vertreter der ÖGARI haben in Statements und Interviews wiederholt festgestellt, dass die Einschätzung jener der deutschen Fachleute gleicht. „Wenn ein Ressourcenmangel besteht, spielen für die Priorisierung ausschließlich die Erkrankung, die individuelle Situation der Patientinnen und Patienten und die Prognose eine Rolle und nicht die Vorbehandlung durch eine Impfung“, betonte etwa ÖGARI-Vorstandsmitglied Prim. Univ.-Prof. Dr. Burkhard Gustorff im Interview mit dem ORF.

Ressourcen für COVID-19-Patienten schaffen, Gleichbehandlung von anderen Patienten sichern

Eine andere wesentliche Aktualisierung der deutschen Leitlinie zielt auf die klinisch-ethischen Grundlagen der Ressourcenverteilung angesichts des gestiegenen Bedarfs für COVID-19-Patientinnen und -Patienten ab. Zeichnet sich eine Ressourcenknappheit ab, sollten Krankenhäuser den Regelbetrieb einschränken, um damit Kapazitäten für die zunehmende Anzahl Schwerkranker mit COVID-19 breitstellen zu können. Hierzu sollten zunächst solche Behandlungen aufgeschoben werden, bei denen durch die zeitliche Verzögerung keine Verschlechterung der Prognose, keine irreversiblen Gesundheitsschädigungen oder gar der vorzeitige Tod zu erwarten sind.

Für den Fall, dass darüber hinaus eine weitere Ausweitung von Behandlungskapazitäten für COVID-19 erforderlich ist, müsse bedacht werden, dass Patientinnen und Patienten mit anderen Erkrankungen gegenüber an COVID-19 Erkrankten nicht benachteiligt werden, betont der Medizinethiker Prof. Schildmann, Mitautor der Leitlinie. Die Gleichbehandlung sei auch im Falle knapper Ressourcen zu gewährleisten. (Redaktionsteam)

Entscheidungen über die Zuteilung intensivmedizinischer Ressourcen im Kontext der COVID-19-Pandemie Version 3 (Vorabfassung) (23.11.2021)

Quelle: Pressemitteilung der DIVI vom 26.11. 2021