Bereits zum vierten Mal fasst ÖGARI Präsident elect Univ.-Prof. Dr. Walter Hasibeder (Zams) für den ÖGARI-Blog wieder eine Auswahl aus der Fülle an aktueller Literatur zu COVID-19 zusammen, kommentiert die wichtigsten Ergebnisse und vergleicht sie auch mit eigenen Behandlungserfahrungen.

Effekte der Antikoagulation bei COVID-19-Patientinnen und Patienten

Ning Tang et al. (J Thromb Haemost 2020; doi: 10.1111/jth.14817) untersuchten die Effekte einer therapeutischen Antikoagulation bei an COVID-19 erkrankten Patientinnen und Patienten. Schwere COVID-19-Erkrankungen können mit intravaskulärer Gerinnungsaktivierung, Mikrozirkulations-störungen und erhöhtem Thromboembolierisiko einhergehen. Eine unkontrollierte Gerinnungs-aktivierung ist generell mit stark erhöhter Mortalität assoziiert. In früheren Zeiten hat man deshalb den Begriff der Disseminierten Intravaskulären Coagulation (DIC)  gern als „Death Is Coming“ bezeichnet, um die klinische pathophysiologische Bedeutung herauszustreichen.

In die vorliegende Studie wurden Patientinnen und Patienten mit schwerer Erkrankung definiert als Atemfrequenz > 30/min, arterielle Sättigung < 94% in Ruhe und PaO2/FIO2 < 300mmHg. Für jede Patientin bzw. jeden Patienten wurde der „Sepsis Induced Coagulopathy“-Score (SIC) berechnet.

Tabelle: SIC Score

Parameter Score Bereich
Thrombozytenzahl 1 100-150
  2 <100
PT-INR 1 1,2-1,4
  2 >1,4
SOFA-Score 1 1
  2 >2

Weiters wurden D-Dimer Serumkonzentrationen und die Prothrombinzeit gemessen. Ein Teil der Patientinnen bzw. Patienten wurde mit UFH oder LMWH für mindestens 7 Tage antikoaguliert. 449 Personen wurden eingeschlossen (mittleres Alter 65,1+12 Jahre). 99 von ihnen erhielten Heparin (94 Erkrankte LMWH: 40mg-60mg Enoxaparin/Tag; 5 Erkrankte UFH: 10000-15000U/Tag).

97 der untersuchten Personen hatten einen errechneten SIC-Score > 4, d.h. sie erfüllten die Kriterien einer Sepsis induzierten Koagulopathie. Die 28-Tage-Mortalität der gesamten Gruppe betrug 29,8%. Bei Patientinnen bzw. Patienten mit SIC-Score > 4 vermindert die Therapie mit UFH oder LMWH signifikant die Mortalität (40% vs. 64,2%). Bei Personen mit D-Dimer Konzentrationen > 3µg/ml (6-fach über den Normalwert) führt Heparin Therapie zu einer Senkung der Mortalität um ca. 20% (32,8% vs. 52,4%).

Die mit schweren COVID-19 Erkrankungen einhergehende Dysfunktion von Gefäßendothelzellen führt zu exzessiver Thrombinbildung bei gleichzeitiger Reduktion der Fibrinolyse. Dieser hyperkoagulatorische Zustand kann durch die bestehende Hypoxie noch verstärkt werden. Eine frühe Antikoagulation der Patientinnen und Patienten kann deshalb den Erkrankungsverlauf günstig beeinflussen. Die Prävalenz und das genetische Risiko für die Entwicklung von Thrombembolien ist normalerweise in der asiatischen Bevölkerung von vorneherein stark vermindert. Darum erhalten Patientinnen und Patienten im asiatischen Raum auch nicht automatisch eine Thromboseprophylaxe im Krankenhaus oder auf der Intensivstation. Es ist wahrscheinlich, dass Menschen anderer ethnischer Gruppen möglicherweise eine deutlich höhere Antikoagulationstherapie zur Vermeidung intravaskulärer Koagulationsphänomene benötigen. 

Wir haben bereits bei den ersten Patienten mit schweren COVID-19 Erkrankungen begonnen, therapeutisch mit LMWH nach Anti-Xa- Spiegel zu therapieren. Grund dafür waren die schweren Mikrozirkulationsstörungen, die wir besonders an den Fußsohlen der Patienten beobachten konnten. Alle Patienten zeigten erhöhte D-Dimer Werte und milde bis moderate Abfälle der Thrombozyten-zahlen – auch das muss als Aktivierung der intravasalen Gerinnung gewertet werden.

Remdesivir im Einsatz bei COVID-19

Grein J et al (NEJM 2020; doi: 10.1056/NEJMoa2007016) berichten über ihre Erfahrungen mit dem Einsatz von Remdesivir in der Behandlung von COVID-19- Patientinnen und -Patienten. 61 Erkrankte in 9 Ländern über 3 Kontinente verteilt erhielten Remdesivir nach folgendem Schema: 1. Tag: 200 mg iv, dann 100 mg täglich für maximal 10 Tage. 8 Personen wurden aus der finalen Analyse ausgeschlossen. Von den verbleibenden 53 Patientinnen und Patienten wurden 34 invasiv mechanisch beatmet und 4 waren an der ECMO. Über einen medianen Beobachtungszeitraum von 18 Tagen (13-23 Tage) nach der ersten antiviralen Therapie wurde bei 84% der eingeschlossenen Patientinnen und Patienten eine Verbesserung der Oxygenierung beobachtet. 7 von ihnen (13%) verstarben nach Abschluss der Therapie. Verstorbene Patientinnen und Patienten waren älter, waren häufiger invasiv beatmet und zeigten gehäuft Nierendysfunktionen (erhöhtes Serum-Kreatinin). Bei 60% der Patientinnen und Patienten wurden Komplikationen während der Therapie berichtet. Die häufigsten waren: Erhöhte Leberfunktionsparameter, veränderte Nierenfunktion, Durchfälle, Hautausschläge und Hypotension. Eine signifikante Verbesserung in der Oxygenierung konnte bei 68% der untersuchten Personen beobachtet werden.

Da es keine Kontrollgruppe gibt und aufgrund unserer Erfahrungen ohne Virostatika ist eine Besserung der Lungenfunktion bei Überlebenden nach 18 Tagen fast immer zu erwarten. Die Mortalität von 13% ist geringer als in der bereits besprochenen Arbeit über den Einsatz von Lopiravir/Ritonavir bei COVID-19 (Mortalität 22%). Aber leider ist das beschriebene Patientenkollektiv alles andere als homogen. Moderat Erkrankte mit 02-Therapie oder CPAP werden mit invasiv Beatmeten und ECMO-Patientinnen und -Patienten in eine Untersuchungsgruppe gezwängt. Die vorliegende Untersuchung sollte, aus meiner Sicht, kein Anlass für eine unkritische Anwendung von Remdesivir sein.

Neurologische Manifestationen des SARS-CoV-2 Virus

In einer retrospektiven Untersuchung berichten Ling Mao et al. anhand von 214 Patientinnen und Patienten in Wuhan, die wegen COVID-19 hospitalisiert waren, über neurologische Manifestationen der Erkrankung.  Die neurologischen Manifestationen wurden in 3 Kategorien eingeteilt:

  • ZNS-Manifestationen: Schwindel, Kopfschmerzen, veränderte Bewusstseinslage (Somnolenz, Stupor, Koma, Delir), Ataxie, Krampfanfälle und akute zerebrovaskuläre Erkrankungen (z.B. Apoplex)
  • Manifestationen des peripheren Nervensystems: Veränderungen des Geschmacks- und/oder Geruchsinns, Änderungen des Sehsinns und Nervenschmerzen
  • Manifestationen am Muskel: Muskelschmerzen im Zusammenhang mit Erhöhungen der CPK > 200U/l

Das mittlere Alter der Patientinnen und Patienten war 52,7 Jahre. 83 von ihnen hatten Vorerkrankungen: Hypertonie (51); Diabetes (30); Malignome (13) und Herz- und Nervensystemerkrankungen (15). Insgesamt zeigten 78 Patientinnen und Patienten (36,4%) verschiedene neurologische Symptome. Die häufigsten Symptome des ZNS waren Schwindel (16,8%) und Kopfschmerzen (13,1%); beim peripheren Nervensystem wurden am häufigsten Geschmacks- (5,6%) und Riechdefizite (5,1%) berichtet. Manifestationen des Nervensystems waren bei schweren Erkrankungen häufiger als bei milden Verläufen. 4 Personen entwickelten während ihrer COVID-19 Erkrankung einen akuten ischämischen Schlaganfall, 1 Patient einen hämorrhagischen Apoplex. Bei 13 Personen (14,8%) war die Bewusstseinslage eingeschränkt und 17 von ihnen gaben Muskelschmerzen an, die von signifikanten Serum-CK Erhöhungen begleitet waren. Ein Patient entwickelte einen einmaligen Krampfanfall. Die meisten neurologischen Symptome manifestierten sich in den ersten Tagen der Erkrankung. Generell zeigten Patientinnen und Patienten mit neurologischen Symptomen einen augmentierten inflammatorischen Response im Labor (Leukozytose, Lymphopenie, CRP) – verglichen mit Patientinnen und Patienten ohne neurologische Symptomatik.

Leider gibt es bisher wenige Autopsie-Ergebnisse des Gehirns bei an COVID-19 Verstorbenen. Bei vereinzelten Untersuchungen wurden aber eine Hyperämie, Hirnödem und degenerative Veränderungen von Neuronen beschrieben. Neurologische Nervenschäden sind bei anderen Coronavirus-Infektionen wie MERS oder SARS bereits bekannt. Eine Infektion des ZNS erscheint hämatogen aber auch retrograd z.B. über Geschmacks- und Geruchsnerven möglich zu sein. Der funktionelle Rezeptor ACE-II, den das Virus zum Andocken und Eindringen in Wirtszellen benötigt, ist auch an Neuronen und in der Skelettmuskulatur vorhanden.  Alternativ kann eine massive inflammatorische Reaktion im Gehirn im Rahmen eines „Zytokine-Sturms“, mit Verlust der Blut-Hirn Schranke, ebenfalls zu Schädigungen bis hin zu Nekrosen von Gehirngewebe (vorzugsweise Basalganglien) führen. Diese akute nekrotisierende Enzephalitis wurde als seltene Komplikation bei schwerer Influenzaerkrankung und kürzlich auch bei einer an COVID-19 erkrankten Frau beschrieben (Poyiadji N et al. Radiolology 2020; doi: 10.1148/radiol.2020201187).

Auch 3 unserer Patienten waren in der Aufwachphase nach zirka zweiwöchentlicher invasiver Beatmung neurologisch hochgradig auffällig. Die neurologische Untersuchung wurde durch eine erfahrene, neurologische Intensivmedizinerin durchgeführt. Alle 3 Patienten zeigten multifokale Läsionen, die sich langsam über Tage besserten. Insgesamt scheint die Prognose dieser neurologischen Manifestationen meistens gut zu sein. Natürlich ist es in der Praxis auch schwierig, nach langen Phasen der Analgosedierung komplexe Entzugserscheinungen im Weaning von anderen Störungen der Gehirnfunktion zu unterscheiden. Erschwerend kommen die Manifestationen einer „Critical Illness Polyneuropathie“ und „Critical Illness Myopathie“ hinzu, die das neurologische Erscheinungsbild weiter verkomplizieren. Gerade bei möglicherweise noch infektiösen Patientinnen und Patienten wird in diesen Situationen auf weitere klärende elektrophysiologische Untersuchungen (Nervenleitgeschwindigkeiten, Elektromyographie) gerne verzichtet.      

Gastrointestinale Manifestationen der SARS-CoV-2-Infektion

Ka Shing Cheung et al. (Gastroenterology 2020; doi: 10.1053/j.gastro.2020.03.065) berichten über gastrointestinale Manifestationen im Rahmen der COVID-19 Erkrankung. Die Daten von 59 eigenen Patientinnen und Patienten der Forschergruppe wurden mit den Daten aus 60 weiteren Studien im Rahmen einer Metaanalyse kombiniert. In 4.243 erfassten Patientinnen und Patienten lag die Prävalenz gastrointestinaler Symptome im Rahmen einer COVID-19 Erkrankung bei 17,6%. Die häufigsten Symptome waren: Gewichtsverlust (26,8%); Übelkeit/Erbrechen (10,2%); Durchfälle (12,5%); abdominelle Schmerzen/Unwohlsein (9,2%). Virale RNA konnte bei 9 (15,3%) der 59 untersuchten Personen aus Hongkong im Stuhl nachgewiesen werden. Die Virusbelastung des Stuhls war bei Patientinnen und Patienten mit Diarrhoe signifikant höher als bei Personen ohne Durchfall. Aber auch bei 4 Patienten (9,1%) ohne gastrointestinale Symptome wurde Virus-RNA im Stuhl nachgewiesen. Im Rahmen der Metaanalyse zeigten Personen mit gastrointestinalen Symptomen einen schwereren Krankheitsverlauf. In neun der eingeschlossenen Studien wurde die Virus Belastung des Stuhls seriell über die Zeit erfasst. 87 der 124 Patientinnen und Patienten in diesen Untersuchungen zeigten eine Persistenz der viralen RNA im Stuhl über Zeiträume, in denen der Respirationstrakt bereits negativ getestet wurde. Bei einer Person konnte eine Virusausscheidung über 30 Tage nachgewiesen werden.

Wir wissen, dass ACE-II Rezeptoren in Epithelzellen des Gastrointestinaltrakts (Magen, Duodenum und Rektum) reichlich nachgewiesen werden können. Es ist daher möglich, dass das Virus auch über den Gastrointestinaltrakt aufgenommen werden kann und inflammatorische Prozesse die Ursache gastrointestinaler Symptome wie z.B. Übelkeit/Erbrechen und Durchfälle sein können.       

Empfehlungen im Zusammenhang mit QT-Intervall verlängernden Therapien bei COVID-19

Roden Dan M et al. (Circulation 2020; doi: 10.1161/CirculationAHA.120.047521) weisen in ihrem Artikel auf die Gefahren potentiell lebensbedrohlicher Arrhythmien im Zusammenhang mit Hydroxychloroquin und/oder Azithromycin hin. Hydroxychloroquin kann das QT-Intervall verlängern und „torsades de pointes“ Arrhythmien induzieren. Diese potentiell lebensbedrohliche Komplikation kennt man aus der Therapie des Lupus erythematodes mit diesem Medikament. Hydroxychloroquin vermindert in Zellkulturen die Bindung des SARS-CoV-2-Virus an die Wirtszellen und über seinen pH-steigernden Effekt in Endosomen, die Virus-RNA-Freisetzung in der Wirtszelle. In einer präliminären Studie bei 16 COVID-19-Patientinnen und -Patienten mit milder bis moderater Erkrankung beschleunigte die Substanz die Viruselimination aus Rachen- und Nasenabstrichen. Dies konnte bei 6 Personen durch Zugabe von Azithromycin beschleunigt werden. Auch Azithromycin verlängert das QT-Intervall und kann schwere Arrhythmien und plötzlichen Herztod verursachen. Als Risikofaktoren gelten hohes Alter und weibliches Geschlecht. Vor allem bei schwer kranken Patientinnen und Patienten kann das Risiko lebensbedrohlicher Arrhythmien durch Hypokaliämie, Hypomagnesiämie, Fieber und die generalisierte Inflammation noch deutlich gesteigert werden. Um schwerwiegende Rhythmusstörungen möglichst zu vermeiden empfiehlt das Autorenteam:

  • Regelmäßiges EKG-Monitoring des QT-Intervalls
  • Bei Patientinnen und Patienten mit einem QTc-Intervall > 500msec sollte auf den Einsatz von Hydroxychloroquin und Azithromycin generell verzichtet werden
  • Bei Patientinnen und Patienten unter der Therapie sollte ein Anstieg des QTc-Intervalls > 500msec zum sofortigen Absetzen der Substanzen führen
  • Die Serum K+-Konzentrationen sollten > 4mval/l, die Serum Mg+ Konzentrationen > 2mg% gehalten werden
  • Auf andere potentiell QT-verlängernde Medikamente sollte während einer Therapie mit Hydroxychloroquin und/oder Azithromycin möglichst verzichtet werden

Wir halten Sie weiter auf dem Laufenden! Bleiben Sie gesund!

Ihr

Walter Hasibeder