W. Hasibeder
Die Anlage von Ernährungssonden bei hospitalisierten dementen Patient:innen
Fortgeschrittene demenzielle Erkrankungen gehen mit einer sehr schlechten Überlebensprognose einher und eine medizinische Betreuung muss sorgfältig geplant werden. Therapien im Frühstadium, z.B. Bewegungsprogramme und Gedächtnistraining, sind in der Lage den Erkrankungsverlauf zu verlangsamen – in späteren Erkrankungsstadien kann der fortschreitende geistige und körperliche Verfall nicht mehr kausal behandelt werden. Die CASCADE Studie hat 323 demente Patien:innen in chronischen Pflegeeinrichtungen über 18 Monate verfolgt. Demente Patient:innen zeigten unregelmäßige Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahmen (86%), rezidivierende Fieberepisoden (53%), Schluckprobleme und ein stark erhöhtes Risiko für Aspirationsereignisse und Pneumonien (41%). Die mediane Überlebenszeit in dieser Studie war 1,3 Jahre! Aus diesen Gründen stellt sich bei hospitalisierten Patient:innen häufig die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Anlage einer, meist PEG- Sonde zur chronischen Ernährungstherapie.
In einer großen kanadischen Beobachtungsstudie (n= 140.000) an hospitalisierten dementen Patient:innen (Medianalter 85 Jahre) wurden folgende Ergebnisse erhoben:
- 1% der Patient:innen erhielten eine Ernährungssonde
- Patient:innen mit Ernährungssonden blieben signifikant länger hospitalisiert (mittlere Aufenthaltsdauer: 66 versus 15 Tage)
- Patient:innen mit Ernährungssonden wurden signifikant häufiger auf eine Intensivstation transferiert (43% versus 10%)
- Die Einjahresmortalität war nach Anlage einer Ernährungssonde höher (50% vs. 28%!!!)
- In einer Untergruppe der Patient:innen mit DNR Order bei Eintritt in das Krankenhaus war die Wahrscheinlichkeit der Anlage einer Ernährungssonde deutlich geringer als bei jenen ohne vorherige DNR Order.
FAZIT für die Praxis: Was aus meiner Sicht für das kanadische Gesundheitssystem spricht ist, dass nur 1% aller hospitalisierten dementen Patient:innen überhaut für eine Anlage einer Ernährungssonde in Frage gekommen sind. Die Studie bestätigt die Ergebnisse zahlreicher retrospektiven Analysen zu diesem Thema. Ernährungssonden, gleich welcher Art, verbessern in stark fortgeschrittenen Demenz Stadien nicht die Prognose der Patient:innen. Im Gegenteil Outcome Parameter wie z.B. die Kankenhausaufenthaltsdauer, eine Notwendigkeit für intensivmedizinische Therapien und letztlich auch die Sterblichkeit werden erhöht. In diesem Sinne ist ein Ausbau des Instruments der Vorsorgevollmacht und der Patient:innenverfügung in unserer Bevölkerung höchst wünschenswert. Aber auch ohne diese Instrumente der Willensäußerung von Patient:innen ist aus medizinischer Sicht die Indikationsstellung zur Anlage von Ernährungssonden im Einzelfall genauestens zu überdenken.
Literatur:
Mitchell SL, et al. the clinical course of advanced dementia. NEJM 2009; 361: 1529-1538
Hartford AM. et al. Use of feeding tubes among hospitalized older adults with dementia. JAMA Netw Open 2025; 8: e2460780
Steroidtherapie bei ausserhalb des Krankenhauses erworbenen Pneumonien
Die Gabe von Kortikosteroiden wurde bereits in früheren Studien und in einer Empfehlung von Expert:innen der ESICM und SCCM bei der schweren außerhalb des Krankenhaus erworbenen Pneumonie (CAP = „Community acquired Pneumonia“) empfohlen (mit moderater Evidenz!). Die Gabe von Kortikosteroiden geht mit einer verringerten Sterblichkeit bei CAP einher. Ein Problem der bisherigen Studien liegt in der Definition der Schwere einer CAP.
In einer großen Metaanalyse mit 3200 Patient:innen wurde der Einfluss verschiedener Schweregradparameter (Scoringsysteme für Pneumonien: Pneumonia severity index; CURB-65 score; Intensivstationsaufnahme; Notwendigkeit zur mechanischen Beatmung und CRP-Werte) im Zusammenhang mit Steroidtherapie auf das Outcome untersucht.
Der CRP-Wert bei Aufnahme war der einzige Parameter mit ausreichender Vorhersagekraft, ob Patient:innen von einer systemischen Steroidtherapie profitieren. Bei Patient:innen mit einem Aufnahme CRP Wert > 204mg/l senkt eine systemische Steroidgabe signifikant die 30-Tage Mortalität (6% versus 13%). Die „Number Needed to Treat“ liegt bei 14, d.h. bei Patient:innen mit CAP und CRP-Werten > 204 mg/l kann durch die Steroidtherapie ein zusätzliches Menschenleben pro 14 Patient:innen gerettet werden! Allerdings war bei Patient:innen mit CRP Werten < 204mg% kein Überlebensvorteil durch Steroidtherapie zu beobachten.
FAZIT für die Praxis: Zunächst ist es eine wichtige Information zu wissen, dass bei hohen CRP-Werten und CAP eine Steroidtherapie in „Stressdosierungen“ (zirka 200mg/Tag entweder kontinuierlich oder in 4 Einzeldosen zu 50mg) sinnvoll ist.
Ich persönlich verwende zusätzliche Parameter für die Indikationsstellung zur Steroidtherapie auch wenn die CRP-Werte noch nicht im 3-stelligen Bereich liegen. Dazu gehören: Hohes Alter und Gebrechlichkeit, schwere konsumierende Vorerkrankungen; das klinische Bild des Patienten (Zentralisationszeichen; verzögerte kapilläre Füllungszeiten; Hypotension; Oligurie…). All diese Parameter lassen den weiteren klinischen Verlauf und den Schweregrad der Erkrankung gut abschätzen. Ebenso sollte man nicht vergessen, das die Fähigkeit der Leber CRP zu bilden und auszuschütten sehr variabel sein kann. Bei manchen Patient:innen steigt das CRP bei noch relativ unauffälliger Klinik bereits an, bei anderen hinkt der CRP-Anstieg dem klinischen Bild deutlich hinterher.
Literatur:
Smit JM et al. Predicting benefit from adjuvant therapy with corticosteroids in community acquired pneumonia. A data driven analysis of randomized trials. Lancet Respir Med 2025; DOI: 10.1016/S2213-2600(24)00405-3
Wie behandelt man eine Pfortadervenenthrombose bei Patient.innen mit Leberzirrhose
Die amerikanische Gesellschaft für Gastroenterologie hat zu diesem Thema jüngst eine Guideline publiziert. Der Hintergrund dazu ist die hohe Mortalität der Pfortaderthrombose (PVT) besonders unmittelbar nach dem Ereignis. Die Behandlungsrichtlinien unterscheiden sich je nach Ausmaß der PVT und dem Zeitintervall zwischen Ereignis und erstmaliger Diagnose.
Die wesentlichen Fakten der Guideline sind:
- Bei asymptomatischen Patient:innen sollte nicht nach Vorhandensein einer PVT gesucht werden. Wird eine PVT per Zufall entdeckt, sollte nach dem Vorhandesein eines Malignoms gesucht werden und das Ausmaß der PVT (Occlussionsgrad, Länge, Chronizität) genau dokumentiert werden
- Wenn eine Antikoagulation erwogen wird muss vorher endoskopisch das mögliche Vorhandensein von Ösophagusvarizen abgeklärt werden. Große Varizen sollten nach Möglichkeit prophylaktisch ligiert werden. Eine Therapie mit nonselektiven ß-blockern kann bei kleineren Varizen begonnen werden. Im Anschluss daran sollte sofort mit Antikoagulation begonnen werden
- Wer sollte antikoaguliert werden:
- Jeder Patient/jede Patientin mit PVT und gastrointestinaler Ischämie benötigt eine sofortige Antikoagulation
- Jeder Patient/jede Patientin mit einer PVT < 6 Monaten mit >50% Gefäßocclussion oder Beteiligung des Pfortaderhauptstammes oder der V. mesenterica superior oder bei Progression der PVT im Rahmen wiederholter Untersuchungen
- Jeder Patient/jede Patientin die für eine Lebertransplantation in Frage kommt
- Vitamin K Antagonisten, niedermolekulare Heparine oder direkt wirksame orale Antikoagulantien sollten bei Patient:innen mit Leberzirrhosen der Child-Pugh Klasse A und B verwendet werden. Bei Child-Pugh Leberzirrhosen Grad C sollte nur mit niedermolekularen Heparinen antikoaguliert werden
- Patient:innen unter Antikoagulation sollten regelmäßig, alle 3 Monate mittels Bildgebung auf Progression oder Regression der PVT untersucht werden
- Patientinnen mit kompletter Auflösung der PVT, die für eine Lebertransplantation gelistet wurden, sollen weiterhin antikoaguliert bleiben
- Bei symptomatischen Patient:innen, die nicht auf systemische Antikoagulation ansprechen, können invasive Behandlungsverfahren oder das Absetzen der Antikoagulantientherapie im Behandlungsteam diskutiert werden. Bei Patient:innen mit therapierefraktären Aszites und/oder rezidivierenden Ösophagusvarizenblutungen und PVT sollte eine Revaskularisation der Pfortader mit ihren Zuflüssen und die Anlage eines transjugulären intrahepatischen Shunts (TIPS) überlegt werden
- Wer sollte nicht antikoaguliert werden:
- Jeder asymtomatische Patient/jede Patientin mit kürzlicher PVT (< 6 Monate) die intrahepatische venöse Gefäße betrifft oder einer < 50% Occlusion der Pfortader, der Milzvene oder Mesenterialvene. Allerdings sollten diese Patient:innen alle 3 Monate bildgebend auf Progression der Thrombose untersucht werden (CT oder MRT). Bei Auftreten von Symptomen sollte sofort antikoaguliert werden. Ebenso, wenn der Patient/die Patientin für eine Lebertransplantation in Frage kommt oder in der Bildgebung der Thrombus größer wird
- Asymptomatische Patient:innen mit chronischer PVT und ausgeprägten Kollateralkreisläufen profitieren nicht von Antikoagulation
FAZIT für die Praxis: Die Guideline zeigt aus meiner Sicht sehr gut, wie komplex und individualisiert die Therapie der PVT bei Patient:innen mit Zirrhose erfolgt. Ich denke, das eine Therapie der PVT bei diesem Patientengut in einem Krankenhaus mit den entsprechenden Expert:innen in Hepatologie, Gastroenterologie, invasiver Radiologie und Allgemeinchirurgie erfolgen sollte. Was wir aber tun können ist, bei symptomatischen Patient:innen mit Leberzirrhose, PVT und gastrointestinaler Ischämie eine sofortige Antikoagulation einzuleiten und den Patienten/die Patientin dann so schnell es geht an ein entsprechendes Zentrum zu transferieren
Literatur:
Davis JPE, et al. AGA clinical practice update on management of portal vein thrombosis in patients with cirrhosis: Expert review. Gastroenterology 2025; DOI: 10.1053/j.gastro.2024.10.038
Virale Infektionen und Demenzentwicklung – neue Beweise
Zahlreiche Studien zeigen mittlerweile, dass eine bakterielle Sepsis das Risiko für Demenzerkrankungen und persistierende kognitive Einschränkungen erhöht. Aber auch Infektionen mit neurotropen Viren, allen voran das Herpes Simplex Virus (HSV), das Varicella-Zoster Virus (VZV), das humane Herpesvirus 6 (HHV-6) sowie SARS-CoV-2 gehen mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung einer Alzheimer Erkrankung oder anderer Demenzformen einher.
Mehrere neue Untersuchungen unterstreichen die Bedeutung von Viren als Risikofaktoren: So zeigt eine Studie, dass Impfungen gegen das VZV das Demenzrisiko beim Menschen deutlich senken können.
Kausal konnte in einer Studie gezeigt werden, dass Neurone die mit HHV-6 infiziert wurden sogenannte „jumping Genes“ aus der zelleigenen DNA ausschleusen, die die Funktionen benachbarter Neurone deutlich einschränken. Eine vorangehende Immunisierung gegen VZV schützt hingegen Nervenzellen vor den schädlichen Effekten einer Infektion mit HHV-6.
Bei SARS-CoV-2 Infektionen zeigt eine Studie, dass manche Betroffene sogar mit nur leichter akut Symptomatik, erhöhte Plasma Biomarker für Alzheimer entwickeln (erhöhte ß-Amyloid und Tau Konzentrationen). Ob das SARS-CoV-2 direkt Neurone angreifen und eliminieren kann ist bis jetzt unklar. Jedenfalls kann das SARS-CoV-2 über Aktivierung von Gliazellen eine Neuroinflammation auslösen und so Neurone schädigen. Ebenfalls gezeigt werden konnte, dass das SARS-CoV-2 direkt die Blut-Hirnschranke durch direkte Schädigung des Gefäßendothels dauerhaft stören kann. Es konnte gezeigt werden, dass langfristige Störungen der Blut-Hirnschranke ebenfalls mit verschiedenen Demenzerkrankungen assoziiert sind.
FAZIT für die Praxis: Es mehren sich die Beweise, dass chronische Infektionen mit Herpesviren aber auch Infektionen mit dem SARS-Cov-2 Virus eine Demenzentwicklung begünstigen. Als Erklärungen können eine chronische Neuroinflammation aber auch die langfristige Störung der Blut-Hirn-Schranke herangezogen werden. Chronische Entzündungen führen zunächst auch zu einer vermehrten Produktion von ß-Amyloid. Letzteres wirkt antimikrobiell und hilft damit akute Infektionen zu bekämpfen. Bleiben die Amyloid-ß Konzentrationen im Gehirn aber längerfristig erhöht, wirken diese neurotoxisch. Neue Studien zeigen, dass eine Immunisierung gegen das SARS-CoV-2 und gegen HZV das Risiko für Demenzentwicklungen beim Menschen vermindern
Literatur:
Feng Y et al. Human herpesvirus-associated transposable element activation in human aging brains with Alzheimer`s disease. Alzheimer Dement 2025; 21: e14595
Duff EP et al. Plasma proteomic evidence for increased ß-amyloid pathology after SARS-CoV-2 Infection. Nat Med 2025; DOI: 10.101038/s41591-024-03426-4
Fekete R et al. Microglia dysfunction, neurovascular inflammation and focal neuropathologies are linked to IL-1 and IL-6 related systemic inflammation in COVID-19. Nat Neurosci 2025; DOI: 10.1038/s41593-025-01871-z
Cannabis und Cannabinoide für den chronischen, nicht Malignom assoziierten Schmerz
Die amerikanische Gesellschaft der Ärzte (College of Physicians, ACP) hat eine neue Richtlinie für die Verschreibung von Cannabis und Cannabinoiden publiziert. Die Richtlinie basiert auf den Ergebnissen aus 26 randomisierten Studien und 12 Observationsstudien bei Patient:innen mit chronischer Schmerzsymptomatik, die nicht durch Malignome hervorgerufen wird. Die meisten Studien fokussieren dabei auf Patient:innen mit neuropathischen Schmerzen.
Cannabis wurde in 24 US Staaten im Jahr 2024 für den Genuss oder für medizinische Zwecke bei Erwachsenen zugelassen. Bei den Cannabinoiden sind Dronabinol (eine synthetische Form von Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) für Chemotherapie induzierte Übelkeit und HIV assoziierte Kachexie von der FDA zugelassen. Nabilone, ein Cannabinoid Rezeptor 1 Agonist, kann bei Chemotherapie induzierter Übelkeit und eine hochkonzentrierte Form von Cannabidiol (CBD) für die Therapie des Dravet Syndroms, Lennox-Gastaut Syndroms (bei beiden Erkrankungen handelt es sich um angeborene Entwicklungsstörungen, die mit schweren Epilepsieformen einhergehen) oder bei Krampfanfällen im Rahmen einer tuberösen Sclerose (genetische Erkrankung mit Wachstumsstörung und oft multiplen Tumoren auch im ZNS) verschrieben werden.
Derzeit sind in den USA Cannabinoide nicht generell für die Behandlung chronischer Schmerzen zugelassen – sie werden aber immer mehr in diesen Bereich eingesetzt. In einer US-Umfrage glauben 81% der US Bevölkerung, dass der Genuss von Cannabis zumindest einen Gesundheitsfördernden Aspekt besitzt und im Jahr 2022 berichten 23% der Befragten, dass sie zumindest einmal im vergangenen Jahr Cannabis zu sich genommen haben.
In den verschiedenen Untersuchungen führen Produkte mit einem hohen Anteil von THC gegenüber CBD (> 2:1) zu einer geringen Verbesserung der neuropathischen Schmerzsymptomatik allerdings bei einem mittlerem bis hohen Risiko Nebenwirkungen wie Schwindel, Übelkeit oder Sedierung zu erleiden.
Bei Produkten mit niederer THC zu CBD Ratio (< 1:2) kommt es statistisch zu keiner Verbesserung der neuropathischen Schmerzsymptome. Hier überwiegen die potentiellen Nebenwirkungen: Sedierung, Übelkeit und Schwindel.
Potentielle Langzeitnebenwirkungen der chronischer Einnahme von Cannabis und Cannabinoiden sind Abhängigkeit und Sucht, Gedächtnissstörungen, das Cannabis Hyperemesis Syndrom und die Entwicklung von Psychosen.
Die Autoren der Studie weißen außerdem darauf hin, dass
- Die Nebenwirkungen einen möglichen Nutzen besonders bei jungen Patient:innen < 25 Jahren überwiegen
- Schwangere, Frauen die Stillen oder Frauen die aktive eine Schwangerschaft herbeiführen wollen kein Cannabis oder Cannabinoide konsumieren sollen
- Patient:innen sollten prinzipiell Cannabis und Cannabinoide nicht inhalativ konsumieren
FAZIT für die Praxis: Der mögliche schmerzlindernde Nutzen von Cannabis und Cannabinoiden scheint auf Präparate mit hohen THC Anteil begrenzt zu sein. Das Risiko von Nebenwirkungen wird als mäßig bis hoch bezeichnet. Deshalb erscheint es besonders wichtig Patient:innen mit neuropathischen Schmerzen, vor Verschreibung dieser Substanzen besonders genau aufzuklären und einen Therapieversuch genauestens auf Erfolg und Misserfolg zu überwachen.
Literatur:
Kansagara D. et al. Cannabis or Cannabinoids for the management of chronic noncancer pain: best practice advice from the American College of Physicians. Ann Intern Med 2025; doi: 10.7326/ANNALS-24-03319
Der Zusammenhang zwischen Chronischem Schmerz, Angststörungen und Depressionen
Als chronische Schmerzen, werden Schmerzen bezeichnet die mindestens 3 Monate persistieren und die Funktionalität betroffener Personen signifikant einschränken. Bis zu 21% der erwachsenen Menschen leiden an chronischen Schmerzen! Chronische Schmerzen können einen massiven Einfluss auf die menschliche Psyche haben. Schmerzen machen psychischen Stress und umgekehrt entwickeln Patient:innen mit psychischen Störungen häufiger chronische Schmerzsymptome. Angstsörungen und Depressionen sind häufige Ursachen einer deutlich verminderten Lebensqualität und Verkürzen nachweislich die Lebenserwartung der Betroffenen. Um den Zusammenhang zwischen chronischem Schmerz und Auftreten von Angststörungen und Depressionen besser zu quantifizieren wurden Daten aus 376 Studien (50 Nationen), die chronische Schmerzpatient:innen auf Angststörungen und Depressionen untersucht haben, gepoolt und analysiert.
39% der 350.000 chronischen Schmerzpatient:innen der Metaanalyse entwickelten Symptome einer Depression, 40% litten an Angststörungen. Das mittlere Alter + SD der Patient:innen mit chronischer Schmerzsymptomatik lag bei 57 + 9 Jahren. 70% der Patient:innen waren Frauen. Die Häufigkeiten von Angst und Depression waren gegenüber einer Vergleichspopulation, ohne chronische Schmerzsymptomatik, deutlich erhöht (Kontrollpersonen: 14% Depressionen; 16% Angststörungen). Chronische Schmerzen mit Angststörungen oder Depressionen wurden am häufigsten bei jüngeren Patient:innen und Frauen mit Fibromyalgie beobachtet. In dieser Patient:innengruppe zeigten 54% Symptome einer Depression und 56% einer Angststörung. Interessanterweise waren chronische Schmerzsymptomatik bei Patient:innen mit Osteoarthritis seltener mit Angststörungen oder Depressionen assoziiert.
FAZIT für die Praxis: Gerade Patient:innen mit chronischer Schmerzsymptomatik ohne Nachweis eines Gewebetraumas, wie z.B. bei Fibromyalgie, komplexen regionalen Schmerzsyndromen etc. benötigen häufig einen multidisziplinären Behandlungsansatz mit Schmerzspezialisten, Psycholog:innen und Psychiater:innen. Dieser multidisziplinäre Ansatz ist in unserem Land, in Krankenhäusern und Gemeinschaftspraxen leider untervertreten, da die medizinischen und psychologischen Leistungen nicht oder kaum honoriert werden und Krankenhausträger daher wenig daran interessiert sind entsprechende Strukturen zu schaffen. Dabei wird häufig vergessen, dass eine multidisziplinäre Behandlung viele dieser Patient:innen wieder in den Arbeitszyklus zurückführen kann. Ganz zu schweigen von den enormen positiven Effekten auf die Lebensqualität! Bereits vor Jahren gab es Ansätze Schmerzambulanzen bis hin zu multidisziplinären stationären Angeboten der Schmerztherapie im Österreichischen Strukturplan Gesundheit zu verankern. Es bleibt zu befürchten, dass Angesichts der Staatsverschuldung, wir auf eine spürbare Verbesserung der medizinischen Versorgung chronischer Schmerzpatient:innen noch warten müssen.
Literatur:
Aaron RV, et al. Prevalence of depression and anxiety among adults with chronic pain – a systematic review and meta-analysis. JAMA Network Open 2025; doi: 10.1001/jamanetworkopen.2025.0268