Sie ist selten, aber hoch gefährlich – die Maligne Hyperthermie (MH) als vererbbare Muskelstoffwechsel-Erkrankung mit potenziell lebensgefährlichen Konsequenzen im Verlauf einer Narkose. Die Klinische Abteilung für Spezielle Anästhesie und Schmerztherapie (Medizinische Universität /AKH Wien) ist seit Jahrzehnten eines der wenigen europäischen Zentren und das einzige in Österreich zur Erforschung und Diagnostik der Erkrankung. Jetzt ist die Pharmakogenetische Ambulanz der Abteilung nach den strengen Kriterien der European Malignant Hyperthermia Group (EMHG) als Zentrum für die Diagnose dieser Störung offiziell zertifiziert worden.

„In Europa gibt es insgesamt neun solcher zertifizierten Zentren. In Deutschland sind es beispielsweise zwei, wobei dort weitere vier Einrichtungen genetische Untersuchungen auf eine Veranlagung für eine Maligne Hyperthermie durchführen“, sagt o.Univ.-Prof. DDr. Hans Georg Kress, Leiter der Klinischen Abteilung für Spezielle Anästhesie und Schmerztherapie der MedUniWien (Medizinische Universität /AKH Wien).

Prof. Kress und sein Team, Prof. Dr. Andrea Michalek-Sauberer und Ass.Prof. Dr. Lukas Weigl, beschäftigen sich seit vielen Jahren mit der komplexen Diagnostik mittels In-vitro-Kontrakturtestung für diese  seltene Erkrankung: „Seit der Standardisierung der aufwendigen Untersuchungstechnik nach dem Protokoll der EMHG im Jahr 1985 wurden an unserer Spezialambulanz mehr als 1.500 potenzielle MH-Anlageträger aus ganz Österreich untersucht, aber auch aus Ländern, in denen keine Austestung möglich ist, zum Beispiel Rumänien, Kroatien, Kuwait. Seit mehr als zehn Jahren bieten wir außerdem auch die molekulargenetischen Untersuchungen an.“

In der Anästhesie sind Zwischenfälle durch Maligne Hyperthermie gefürchtet. „Mögliche Trigger sind alle volatilen Inhalationsanästhetika, zum Beispiel Halothan, Enfluran, Isofluran, Sevofluran und Desfluran. Die klassische Triggersubstanz Halothan wird klinisch kaum mehr verwendet, ebenso das schon ältere depolarisierende Muskelrelaxans Succinylcholin“, sagt Prof. Kress.

Das Problem, wie Prof. Kress betont: „Ohne eine entsprechende Narkose sind die Betroffenen völlig symptomfrei. Oft zeigen sich Zeichen einer Malignen Hyperthermie gleich am Beginn einer Narkose. Mit den moderneren volatilen Anästhetika und unter Verzicht auf Succinylcholin kann das aber auch erst nach Stunden der Fall sein.“

Häufigkeit wahrscheinlich unterschätzt

Die Häufigkeit der Malignen Hyperthermie bzw. der mit einer MH-Disposition behafteten Personen wird sehr wahrscheinlich unterschätzt. Prof. Kress: „Früher hat man von einer Häufigkeit von eins zu 35.000 gesprochen. Aber in Österreich kommt wahrscheinlich ein Merkmalsträger auf 3.000 Menschen. Damit haben wir allein in unserem Land 2.700 bis 3.000 Personen mit einem solchen lebensbedrohlichen Risiko.“

Bei weitem nicht immer wird die MH-Disposition bemerkt. Auch das verkompliziert die Situation. „Von den nun geschätzten 2.700 bis 3.000 Personen mit einem Risiko in Österreich werden wahrscheinlich nur zehn Prozent ‚auffällig‘. Und Probleme müssen nicht gleich bei der ersten Narkose auftreten, das kann auch erst bei der zweiten oder dritten der Fall sein,“ so Prof. Kress.

Auftreten und Schweregrad der Malignen Hypertonie hängen von weiteren Faktoren ab, wie der Experte erklärt: „Das sind die eingesetzten Anästhetika und Relaxanzien, die Inhalationsdauer und die Konzentrationen der eingesetzten volatilen Anästhetika. Eine Maligne Hyperthermie kann aber auch noch zwei bis drei Stunden nach kurzen Narkosen auftreten. Das wiederum hängt von Stressfaktoren und zusätzlich eingesetzten Medikamenten, wie zum Beispiel Neuroleptika, ab.“

Bei leichten „abortiven“ Verlaufsformen können auch nur leicht erhöhte Körpertemperatur oder eine vorübergehende Tachykardie auftreten. Bei kurzen Narkosen muss das nicht in jedem Fall bemerkt werden. „Erfahrene Anästhesistinnen und Anästhesisten schöpfen zum Beispiel Verdacht, wenn am Beginn einer Narkose nach Gabe des Muskelrelaxans Succinylcholin typische Spasmen im Kieferbereich (M.-masseter-Spasmus; Anm.) auftreten und man daher Schwierigkeiten beim Intubieren bekommt“, sagt Prof. Kress. „Bei 40 bis 80 Prozent der MH-Anlageträger induziert eine Relaxationsdosis von Succinylcholin einen M.-masseter-Spasmus.“

Die pathophysiologischen Abläufe bei der Malignen Hyperthermie sind mittlerweile relativ gut aufgeklärt. Es kommt zu einem massiven Kalzium-Einstrom in die Muskelzellen durch Freisetzung aus dem sarkoplasmatischen Retikulum mit Tachykardie, Muskelstarre, Hyperkapnie und Hypoxämie. „Die zytoplasmatische Kalzium-Überladung regt den Muskelzell-Stoffwechsel maximal an, Anstieg der Körpertemperatur und der CO2-Konzentration im Blut (Hyperkapnie) sind die Folgen. Der Sauerstoffbedarf steigt enorm und nach Aufbrauchen der Reserven (Hypoxämie) führt anaerobe Energiegewinnung (Laktatämie) zur Verstärkung der kombinierten Azidose. Die Patienten werden bei einer fulminant verlaufenden Malignen Hyperthermie trotz maximaler Sauerstoffzufuhr zyanotisch, der Körper stellt auf anaeroben Stoffwechsel um“, sagt Prof. Kress. Myoglobinurie, Hyperkaliämie und Nierenversagen im Rahmen einer massiven Rhabdomyolyse münden schließlich unbehandelt in ein Multiorganversagen. „Ab einem gewissen Stadium kann man die Betroffenen kaum noch retten“, betont Prof. Kress, „jedoch tritt eine solche fulminante Krise heute nur noch in 6 Prozent der Fälle auf.“.

Genetische Ursache – Diffizile Diagnostik

Um die Jahrtausendwende wurden die Grundlagen für eine genetische Diagnose geschaffen. Doch die Diagnostik ist äußerst diffizil. „Es handelt sich um eine autosomal dominant vererbte Erkrankung. Man dachte zunächst, man könnte eventuell eine einzige oder einige wenige Mutationen im Erbgut als Ursache identifizieren“, sagte der Leiter der Klinischen Abteilung für Spezielle Anästhesie und Schmerztherapie an der Wiener Universitätsklinik.

Mittlerweile sei klar: „Die Genetik allein eignet sich nicht zur Erstdiagnose nach einem MH-verdächtigen Narkosezwischenfall. Wir kennen mittlerweile 31 kausative Mutationen, welche mit der Malignen Hyperthermie assoziiert sind. Mehr als die Hälfte betreffen die Ryanodin-Rezeptoren des sarkoplasmatischen Retikulum, die Gate-keeper für das sarkoplasmatische Kalzium. Daneben gibt es auch noch Mutationen an den Dihydropyridinrezeptoren – spannungsabhängige Ca-Kanäle, die ebenfalls als ‚Mittäter‘ gelten.“ Insgesamt gehe man derzeit von rund 185 Genmutationen aus, bei denen ein Zusammenhang mit einer MH-Veranlagung wahrscheinlich ist.

Die 15 häufigsten Mutationen finden sich allerdings nur bei etwa 30 Prozent der Fälle von Maligner Hyperthermie. Selbst bei Testung auf alle 31 bekannten kausativen Mutationen (Ryanodin-, Dihydropyridinrezeptoren) wären nur etwa 50 Prozent der MH-disponierten Risikopersonen erfasst.

Daher ist für die Bestätigung eines MH-Verdachts eine „offene Muskel-Biopsie“ aus dem M. quadriceps des Oberschenkels notwendig. „Unter Lokal- bzw. Leitungsanästhesie, die ja keine Maligne Hyperthermie auslösen können, werden mehrere zwei Zentimeter lange Muskelfaserbündel zu je ca. 200 mg entnommen. In einem speziellen Organbad mit exakt dosiertem Zusatz von Halothan und Koffein wird dann die Kontraktion der Muskelfaserbündel im In-vitro-Kontrakturtest (IVCT) gemessen und elektronisch registriert“, schilderte Kress den von der EMHG-festgelegten Untersuchungsablauf, der regelmäßigen Qualitätskontrollen unterliegt.

„Bei einem positiven Ergebnis sollten Eltern, Großeltern, Geschwister und Kinder (IVCT erst ab der Pubertät möglich) ebenfalls untersucht werden. Wir haben schon etliche Großfamilien und Sippen getestet. Das kann dann auch mittels molekulargenetischer Blutuntersuchung erfolgen, jedoch nur wenn eine der bekannten kausativen Mutationen bei dem positiven Familienmitglied (Anlassfall) festgestellt werden konnte. Zum Beispiel haben wir erstmals bei zwei Familien aus Kuwait eine Anlage zur Malignen Hyperthermie belegt und dabei zwei Großfamilien getestet“, sagte Kress. Ausgangspunkt waren zwei – voneinander unabhängig aufgetretene – tödliche Zwischenfälle bei Operationen in Kuweit, wo es kein Zentrum für die Diagnose der Malignen Hyperthermie gibt.

Betroffene müssen in jedem Fall die Triggersubstanzen vermeiden. Dazu stellt das diagnostizierende Zentrum eigene Notfallkarten und Plaketten aus, die das MH-Risiko anzeigen. Außerdem steht dem behandelnden Anästhesisten im Notfall das Hotline-Telefon der Abteilung für Spezielle Anästhesie und Schmerztherapie am AKH Wien zur Verfügung (01-4040064230 von 7:30-15:00h, ab 15:00h 01-4040041880).

Für den unvorhersehbaren Notfall aber muss auch in jedem OP-Saal bzw. in jeder OP-Einheit vorgesorgt sein. „Das einzige Mittel zur ursächlichen Behandlung einer Malignen Hyperthermie ist die sofortige hochdosierte Gabe von Dantrolen i.v.. Dantrolen stoppt als Hydantoin-Derivat die Kalziumfreisetzung aus dem sarkoplasmatischen Retikulum und ist damit eine ursächlich wirksame Therapie. Das müssen sofort 2,5 mg/kg Körpergewicht sein. Danach wird diese Therapie bis zum Abklingen der Symptome oder bis zu einer Dosierung von 10 mg/kg/24h weitergeführt. Für die Akut-Behandlung eines erwachsenen Notfallpatienten mit fulminanter Maligner Hyperthermie benötigt man die Bevorratung von mindestens 10 mg/kg Körpergewicht an einer zentralen Stelle in jedem OP-Bereich. Kress: „Das sind Dutzende Fläschchen mit Trockensubstanz und nochmal so viele Fläschchen mit ‚Wasser für Injektionszwecke‘ sowie 60-ml-Injektionsspritzen zum Befüllen der Durchstechflaschen. Zur Notfalltherapie muss eine Mindestmenge von 36-48 Ampullen der teuren und nur begrenzt haltbaren Dantrolen-Trockensubstanz in jedem Operationsbereich bevorratet werden. Hinzu sollten für die weitere Behandlung zusätzliche Dantrolen-Mengen in kürzest möglicher Zeit aus anderen OP-Bereichen verfügbar sein.“